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Nero Corleone

Nero Corleone

Titel: Nero Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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stand vor ihr und überlegte, ob sie wohl auch schielte, wenn sie die Augen geschlossen hatte. Sie streichelte über das rosaweiße Köpfchen und flüsterte: »Schlaf gut, kleine Rosa, du wirst sehr liebgehabt!« Und Nero? Nero trabte durchs Haus, auf und ab, unruhig, wütend, wie Dschingis-Khan auf der Suche nach seinen wilden Horden, wie Attila, der Hunnenkönig, der die Welt erobern will, wie... na, eben wie ein kleiner schwarzer Kater, der seiner neuen Welt da draußen mitteilen will: VORSICHT! ICH BIN DA! MIT MIR IST NICHT ZU SPASSEN!

S eine Stunde kam schon in der ersten Nacht.
    Als Isolde und Robert endlich ins Bett gingen und krumm und schief und unbequem um Rosa herum lagen, da bemerkte Nero, dass ein Fenster im Schlafzimmer offen war. Nur einen Spalt, aber »wartet nur«, dachte er, »euch zeigt Hasilein-Putzelchen, was eine Harke ist, schlaft nur endlich ein.« Und als Robert schnarchte und Isolde schlief und seufzte und von hunderttausend kleinen Katzen träumte, für die sie Grießbrei kochen musste? durfte?, da sprang Nero zunächst auf die Fensterbank, presste sich dann durch den schmalen offenen Schlitz und saß draußen auf dem Fenstersims, im ersten Stock. Aaaaaaah!
    Frische Luft. Nachtluft, mit all den Geräuschen und Gerüchen, die ein Kater braucht, die er liebt, die er genau kennen will, wo immer er ist. In Italien kannte er das Scharren der Hühner und ihr leises Gurren im Schlaf, er roch die Holzfeuer in den Kaminen der Bauernhöfe und das nasse Fell des Hundes, er konnte das hohe Quieken der Wühlmäuse hören, das Herumschleichen der anderen Katzen und, bildete er sich jedenfalls ein, das mühsame Mahlen der Gedanken im Kopf des Esels, der so gern die Probleme dieser Welt durch bloßes Nachdenken lösen wollte. Hier kannte er — noch — nichts. Er saß ganz still, die großen grünen Augen kugelrund, den Schwanz um die Vorderpfoten gelegt, seine Schnurrbarthaare zitterten und sein Herz klopfte. Er rührte sich nicht. Er lauschte. Er schnüffelte. Er konzentrierte sich und nahm mit allen Sinnen seine neue Umgebung tief in sich auf.

    Da gab es eine Straße in der Nähe, Autos waren zu hören. Lichter huschten durch die Büsche. Es musste irgendwo einen Igel geben, denn er hörte ein leises Schnarchen, und das Igelschnarchen war ihm vertraut. Im Holzstoß des Bauern hatte auch ein Igel seinen Winterschlaf gehalten. Er hörte Mäuse fiepen, aber sie mussten kleiner sein als die Mäuse, die er kannte. Ein ganz feiner Geruch von Schinken, Fleisch und Wurst lag in der Luft, und ein leises Klavierspiel war zu hören, nur wenige seltsame Töne. Das war der Duft von Feinkost Bollmann, das waren die Töne von Komponist Kagel, mit dessen Kater sich Nero später so gut anfreunden würde, aber das alles wusste er ja jetzt noch nicht. Er nahm Geräusche und Gerüche in sich auf und schätzte die Höhe und die Kletterangebote der umstehenden Bäume ab. Konnte er springen? Musste er sich Umwege ausdenken? Das alles wollte bedacht sein, aber er hatte ja Zeit, die Nacht war noch lang, ein halber Mond leuchtete freundlich, und irgendwo schlug eine Uhr halb eins. Nero saß mucksmäuschenstill bis zwei Uhr. Man hätte denken können, er sei eine Statue, leblos, reglos, aus Stein, aber wir kennen ihn ja. Wir wissen, dass er warm und weich ist und dass er Kraft und Mut sammelt für das neue große Abenteuer der Fremde —
    Jetzt.
    Um Punkt zwei Uhr sprang er mit einem riesigen, aber genau berechneten Satz vom Fenstersims aus in einen nahe stehenden Pflaumenbaum, und nach diesem ersten fabelhaften Sprung blieb er zunächst wieder ganz still sitzen, mit klopfendem Herzen. Genau dreieinhalb Minuten, dann kletterte er so rasch hinunter, dass es aussah, als würde ein Schatten über den Baum huschen, hui, rechts, links, sicher, schnell, geschickt, lautlos setzte er die Pfoten, und schon landete er auf dem kalten stoppeligen Winterrasen und rannte in großen Sätzen unter eine Hecke. Herzklopfen. Stolz. Aufregung. Freude! Gras unter den Pfoten!

    »Hey, Isolde«, sagte er zum Fenster hoch, »guck mal, Hasilein macht Bächlein!« Und er ließ einen riesigen aufgestauten See unter die Hecke fließen. »Soviel Zeit muss sein«, dachte er, als er fertig war, und scharrte sein Werk sorgfältig zu. Dann atmete er tief durch und sah sich um. Für dich und mich wäre bis auf das ferne Autorauschen alles totenstill gewesen. Nicht so für einen Kater wie Nero Corleone, der ja im Dunkeln sehen und im Stillen hören kann. Er sah

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