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Nero

Nero

Titel: Nero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Eckstein
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die sich im heiligsten ihrer Gefühle tödlich verwundet sahen, zogen die Kühnsten unter den Männern zuletzt in tosender Schar vor das Palatium und verlangten mit Donnerstimme die Rückberufung Octavias.
    Immer neue Volksmassen drängten nach. Eine Abteilung Stadtsoldaten, die Treppe des kapitolinischen Hügels herabsteigend, warf sich den Ungestümen entgegen.
    »Halt!« schrie der Befehlshaber. »Keinen Schritt weiter, oder ich lasse euch niederstoßen!«
    »Schäme dich!« rief ein schlanker, dunkeläugiger Jüngling, die Faust erhebend.
    Es war der Freigelassene Artemidorus.
    »Schäme dich!« wiederholte er tieftönig. »Willst du die Ehrlosigkeit verteidigen wider die Tugend? Bist du ein Römer, oder ein Kuppler aus Memphis?«
    »Gebt Raum!« klang es verdrießlich von den Lippen des Anführers. »Horch! Da heult's ja schon wie germanischer Kriegsgesang! Vorwärts, Leute! Ich muß meine Pflicht thun! Legt mir die Speere ein!«
    »Pah!« rief einer der Stadtsoldaten. »Wahr bleibt wahr! Die Fürstin ist schuldlos, und Poppäa hat sie mit Schlamm besudelt.«
    »Ich bin römischer Bürger,« sagte ein zweiter. »Ich fechte nicht für die liederliche Sabina.«
    »Es lebe Octavia!« scholl es vom Mund eines dritten.
    »Recht so!« jubelte Artemidorus. »Ein Hoch für die Stadtkohorte!«
    »Die Stadtkohorte!« jauchzte das Volk. »Hoch die Beschirmer Octavias!«
    Der Befehlshaber schaute sich ratlos um. Sämtliche hundert Mann weigerten ihm den Gehorsam. Der Lärm auf dem Forum Romanum wuchs mit jeder Sekunde.
    Artemidorus faßte ihn plötzlich am Oberarm.
    »Zögerst du noch?« rief er im Tone eines begeisterten Sehers. »Die ehrvergessene Schmach und die Schande
müssen
gezüchtigt werden, oder das Weltall geht aus den Fugen.«
    Mit einem gewaltigen Griff hatte er dem jäh Ueberraschten das Breitschwert aus den Fingern gerissen.
    »Auf nach der Hofburg!« schrie er, den Stahl hoch über dem Haupte schwingend. »Kommt, ihr Speerträger! Euer Erscheinen wird, so hoff' ich, den Ausschlag geben.«
    »Die Stadtsoldaten erklären sich für Octavia!« ging es brausend von Mund zu Mund. »Platz da! Hier kömmt ihr Vortrab, um das Palatium zu stürmen. Cäsar, tritt vor das Ostium! Schwöre bei allen Göttern, daß du Octavia in ihr fürstliches Recht wieder einsetzen willst! Nieder mit dem verruchten Schandmensch Poppäa! Sie hat Rom in den Kot getreten!«
    »Nieder mit Claudius Nero, wenn er mißhorcht!« scholl es, all den Lärm übertäubend, mit posaunenartiger Allgewalt aus dem Getümmel.
    Alles wandte sich um.
    Nicodemus jedoch, der rachebrütende Nazarener, der den erschütternden Drohruf ausgestoßen, hatte sich augenblicklich gedeckt. Er schien in die Erde gesunken, – spurlos, wie ein Gespenst.
    Im Palatium herrschte die größte Ratlosigkeit.
    Einige fünfzig Prätorianer, die Sophonins Tigellinus auf den Wunsch der Poppäa hinausgesandt hatte, um das Volk zu zerstreuen, waren nach kurzem Gemetzel von der entrüsteten Menge teils entwaffnet, teils zu Tode geprügelt worden. Jetzt, da die Stadtsoldaten ihre drohenden Lanzen erhoben, tappte man vollends im Dunkeln. Tigellinus schickte Boten auf Boten nach der großen Kaserne: noch immer kam keine Antwort. In fliegender Eile entwarf er Angriffs- und Verteidigungspläne, ohne ein Resultat zu erzielen; denn alles hing davon ab, wie bald die Truppen der Prätorianerkaserne eintreffen, ja, ob sie sich überhaupt bereit finden würden, gegen das ganze erbitterte Rom den Kampf zu versuchen.
    Er äußerte seine Bedenken dem Kaiser.
    Alsbald ergriff den Erregten ein Angstgefühl, das ihm die Kehle verdorrte. Nicht die zitternde Unrast der Feigheit durchwühlte ihn, sondern das böse Gewissen.
    Ja, das Volk hatte recht! Es war eine Missethat, all diesen Scheinbeweisen zu glauben, so überzeugend sie auch von den pfiffigen Delatoren zusammengestellt waren.
    Tigellinus hatte sich täuschen lassen: das mochte noch angehen. Poppäa hatte sich täuschen lassen: das war schon herber; denn gerade sie, von der die bemitleidenswerte Octavia so Schweres erduldet hatte, mußte bemüht sein, die Schwächen der Anklage thunlichst hervorzukehren.
    Daß aber er geglaubt hatte, Octavia sei schuldig, das war ein unverzeihlicher Frevel, eine Verblendung, die er nicht sühnen konnte!
    Weshalb wußte denn Rom, wie makellos die Erlauchte dastand? Er, der Cäsar, kannte seine Octavia doch besser!
    O, er durchschaute nun alles! Die schurkischen Delatoren hatten gehofft, der Poppäa Sabina

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