Nero
verstümmelt, mit Staub und Schmutz besudelt, oder, wie die Leichname der Verbrecher, nach den gemonischen Stufen geschleift.
Von Claudius Nero bewillkommt, schritt die marmorbleiche Octavia durch die Vorhalle des Palatiums.
»Heil dem Kaiser! Heil der Kaiserin!« lärmte das Volk bei dieser Begrüßung, die doch so seltsam war, so bang und so wortlos.
Die Menge strömte in ungezählten Scharen nach den öffentlichen Altären, um den Göttern zu danken, daß die Mißhelligkeiten im Herrscherhause nun endlich beseitigt, daß Octavia voll und ganz in ihr unveräußerliches Recht wieder eingesetzt worden sei.
Fast in dem gleichen Augenblick, als Octavia die Hofburg betrat, schlich Poppäa Sabina tief verschleiert durch die palatinischen Gärten nach dem Ausgang, der zum Circus Maximus führte. Hier stand ihre Sänfte. Einen letzten zornigen Blick warf sie auf die prunkende Hofburg, wo sie bis dahin als souveräne Fürstin geschaltet hatte. Dann schloß sie fest und energisch die Lippen, drückte die Hand aufs Herz und stieg in ihre Lectica.
Eine sofort vom Kaiser berufene Senatsversammlung erklärte die Scheidung, die erst kaum von der nämlichen Körperschaft mit überwältigender Mehrheit verfügt worden war, auf Grund eines angeblich untergelaufenen Formfehlers für null und nichtig.
Thrasea Pätus und Barea Soranus sprachen den versammelten Vätern in höhnischer Weise ihre Erkenntlichkeit aus und schlossen jeder in seiner Weise mit der Bemerkung, daß sie fürderhin auf die Ehre verzichten müßten, einer Körperschaft anzugehören, die in so wichtigen Dingen Formfehler zu begehen wage. Jedermann fühlte den blutigen Hohn und die wilde Verachtung, die sich hier ins Gewand einer beißenden Ironie kleidete. Cossuthianus, der alte Gegner des Thrasea, schäumte vor Wut, denn ihm besonders war von dem tapfern Stoiker ein vernichtender Hieb erteilt worden. Dennoch wagte keiner ein Wort der Erwiderung. Die Scham, die ja zuweilen auch in der käuflichsten Straßendirne erwacht, lähmte ihnen die heuchlerisch-verlogenen Zungen.
Sechstes Kapitel
Während der ersten Stunden nach dem Wiedersehen mit Octavia zeigte sich Nero von ernster und wahrhaftiger Reue erfüllt. Die Leiden seiner jungen Gemahlin rührten ihn tief. Er machte sich leidenschaftliche Vorwürfe, daß er dem Scheine so über Gebühr Glauben geschenkt. Es jammerte ihn dieses verfehlten, hundertfältig gebeugten Daseins . . .
»Octavia,« sprach er, da sie erschöpft auf den Polstern ihres Gemachs ruhte, »du sollst nun sehen, wie sich alles zum Guten fügt. Ich ahnte ja nicht, was für ein süßes, holdes Geschöpf du bist! Weine nicht, arme Octavia! Doch, du weinst! Ganz wie von selber rinnt's dir in leisen Tropfen hier an der Wange herab. Du leidest, Octavia! Sieh', bei allen Göttern schwöre ich dir: Diese Hand hier wollt' ich vom Henker zerschmettern lassen, wenn ich das Elend, das ich dir zugefügt, wieder gut machen könnte. Soweit dies irgend noch möglich ist, soll es geschehen. Tigellinus hat bereits vier jener schmählichen Delatoren in Haft genommen. Sie werden am Kreuze verbluten. Octavia, vergib mir! Ich kann ja nicht leben, wenn du mir gram bist.«
Sie verzieh ihm von Herzen. Aber noch wühlte das Vorgefallene zu furchtbar in ihrer Brust, als daß sie ganz ohne weiteres diese Jahre der Trauer mit dem entsetzlichen Gipfelpunkt der Gerichtsverhandlung hätte verwinden können.
»Laß uns abwarten,« sagte sie, »ob dein Gemüt sich nicht täuscht! Das Opfer, das du zu bringen gedenkst, übersteigt vielleicht deine Kräfte. Nicht als lastende Pflicht sollst du empfinden, was für mich eine Gnade der Gottheit wäre. Prüfe dich, ob du noch fähig bist, einem Glück zu entsagen, das trotz alledem . . . doch dein Glück war!«
Claudius Nero erging sich in heißen Beteuerungen. Die Selbstlosigkeit dieses jungen Weibes, der Gram, der aus ihrem holden Gesichte so tief zur Seele sprach, erschütterte ihn bis in das Mark. Zaghaft wie ein Verbrecher, der solche Gunst nicht verdient, ergriff er die schlanken Finger und küßte sie. Dann versank er in dumpfes Brüten, bis der Tricliniarch ihm vermeldete, daß die Coena bereit stehe.
Der Kaiser erhob sich und wandte den Blick auf Octavia. Sie war entschlummert. Ihre Wangen hatten sich leise gerötet. An den Wimpern glänzte die letzte Spur einer Thräne.
Er weckte sie auf und sah ihr brünstig ins Auge, als flehe er nochmals ihre Verzeihung an. Sie lächelte. Dann schob sie das Haar
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