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Nero

Nero

Titel: Nero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Eckstein
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bereits das vierte Stelldichein verabredet hatte, wehrte sich nur mit erkünstelter Gleichgültigkeit gegen die Wirkung dieser weichen und doch so vollschwellenden Stimme, wie sie in lockenden Modulationen von dem Tiefsten und Heiligsten sang, was eine menschliche Brust durchzittert.
    Dort die frechen, blasierten Jünglinge, die bei den Dirnen des tullischen Walles besser Bescheid wußten als im eigenen Familienkreise; die den Hallen der Rechtsprechung fern blieben, aber niemals eine Pantomimenaufführung oder die Orgien vornehm ausgestatteter Halbweltsdamen versäumten: sie legten ihre Stutzerphysiognomien unwillkürlich in weniger impertinente Falten und ließen ab von ihrem Geflüster, mit dem sie anfangs die Erscheinung der jungen Rhodierin dreist analysiert hatten.
    Kurz, der Triumph der Künstlerin war ein vollständiger. So ergreifend, so herrlich hatte sie noch niemals gesungen, seit sie den Boden Italias betreten; und als nun der Freigelassene Artemidorus im Auftrage seines Gebieters Flavius Scevinus ihr am Schluß des bestrickenden Zauberliedes knieend einen goldenen Kranz überreichte, da konnte sich der Enthusiasmus der Zuhörer in Händeklatschen und Beifallrufen kaum noch genug thun.
    »Süße Chloris,« flüsterte Artemidorus, nur für das hold errötende Mädchen vernehmlich, »nimm und rede: was ist dir lieber? Dieser kostbare Kranz oder mein stürmisch pochendes Herz?«
    »Dein Herz, das weißt du!« hauchte die Sängerin.
    Und da sie die prächtige Gabe ihm abnahm, drückte sie dem freudebebenden Artemidorus heimlich die Hand.
    »Welch ein unermeßliches Glück, so geliebt zu werden!« sagte er leise, als er sich mit geschmeidigem Anstand wieder erhob. »Ehe ein Jahr verstreicht, ist sie mein! Und ich dachte schon, ich müßte fern von ihr sterben! Fern von ihr –: das wäre entsetzlicher als der Tod selber.«
    »Ein köstlicher Junge, dieser Artemidorus,« raunte ein achtzehnjähriges Weib von senatorischem Range ihrer gleichalterigen Nachbarin zu. »Schade, daß er nicht von freier Geburt ist.«
    »Weshalb schade?«
    »Nun. das scheint mir doch nicht gerade rätselhaft . . .«
    »Pah! Was mich betrifft, – wenn ich die Wahl hätte zwischen ihm und dem vielgerühmten Sophonius Tigellinus, ich würde den Artemidorus unbedingt vorziehen . . .«
    »Meinst du?«
    »Unbedingt! Das heißt: Du verstehst mich doch? Als Gemahl oder selbst als dauernder . . . Freund wäre Tigellinus mir lieber. Aber mal bei Gelegenheit, so als flüchtige Laune . . . Und ich bitte dich, frag' dich doch selber: Vorurteile sind nirgends läppischer, als beim Verliebtsein. Wenn uns der Ehegemahl schließlich ertappt, wird's auch ihm wohl wenig verschlagen, ob der Liebhaber über den Rittercensus verfügt oder nicht.«
    Die beiden schamlosen Frauen lachten, – so ekelerregend, daß ihre hübschen jugendlichen Gesichter beinah verzerrt schienen.
    Chloris aber, selig im Gefühl ihres künstlerischen Triumphes, seliger noch im Bewußtsein, von Artemidorus geliebt zu werden, neigte sich dreimal nach allen Richtungen, rief der Kaiserin-Mutter, die ihr mit großer Lebhaftigkeit applaudiert hatte, auf griechisch ein herzentquollenes »Zeus beschirme die Mutter des Vaterlandes!« zu und verschwand dann im Zelte, um einem stolzen Athletenpaar, das einen Ringkampf zum besten zu geben hatte, Platz zu machen.
    Eh' noch die dröhnende Blechmusik einfiel, die den Ringkampf begleiten sollte, hatte sich Nero, den Tigellinus allein lassend, abseits gewandt.
    Das Lied der Hellenin wühlte ihm tief in der grausam verwundeten Seele.
    Zwei ihm befreundete Jünglinge, die ihm zu folgen gedachten, wies er durch eine trotzige Handbewegung zurück.
    »Unglaublich!« sagte der eine zum andere »Auch hier, im festlich geschmückten Garten des Flavius scheint er zu grübeln. Bei der Epona, es wäre jetzt an der Zeit, daß man dem grämlichen Seneca endlich ein Bein stellte. Mit zwanzig Jahren klug und kalt wie ein Zeno – das geht nicht länger! Ueber welches metaphysische Rätsel mag der Träumer jetzt nachdenken, daß selbst wir, die gesetztesten seiner Freunde, ihm lästig sind?«
    Ja, es war ein metaphysisches Rätsel, das den jungen Cäsar beschäftigte – allerdings nur praktisch beschäftigte, nicht theoretisch: das metaphysische Rätsel der echten, herzbewegenden Liebe, die dem Verstande nicht antworten könnte, wenn er sie fragte: ›Weshalb hängst du so mit allen Fasern des Wesens an der einen, kaum Geschauten und für immer

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