Nero
Poppäa, daß Agrippina keinerlei Vorurteile kennt in der Wahl ihrer Liebhaber. Gestern ein senatorischer Jüngling, heute vielleicht ein wohlgewachsener Soldat: – das ist so ihre tugendsame Gepflogenheit.«
»Aber sie hält's doch ziemlich geheim,« versetzte die Aegypterin Epicharis. »Mir wenigstens, die ich so vielfach herumgehorcht, ist noch nie was von ihren bedenklichen Abenteuern zu Ohren gekommen.«
»Nun, man ist ja wohl vorsichtig in solchen Bemerkungen,« lächelte Pätus Thrasea. »Damals jedoch war es ein öffentliches Geheimnis, daß der Centurio Gallienus im Vollbesitz ihrer Gunst stand, und heute noch soll er zu gewissen Stunden nach Mitternacht von dem Wahne besessen sein, er, der unbedeutende Kriegsmann, beherrsche die Herrscherin Roms.«
»Das alles beweist nichts,« rief Barea Soranus. »Ich versichere euch, der Centurio hat bis zu dem Augenblick, da wir den Hilferuf des Scevinus vernahmen, den Platz hinter der Loge seiner Gebieterin nicht verlassen.«
»Vortrefflich,« erwiderte Pätus. »Aber daß man innerhalb der zehn Minuten, die zwischen dem kurzen Gespräch mit der Kaiserin und der Gruppierung der Logenwache belegen sind, sehr wohl einen derartigen Auftrag weiter geben und dem Buben, der die Missethat ausführen soll, das Stilett behändigen kann – das will meinem ewigen Krittler Barea Soranus nicht einleuchten – obgleich ich hier ausdrücklich hinzufüge, daß ich dieses Verhandeln des Centurio Gallienus mit einem der Prätorianer beobachtet habe.«
»Das scheint mir allerdings von Belang,« versetzte Soranus. »Aber ich zwinge mich trotzdem zu zweifeln, solang auch nur die leiseste Möglichkeit einer andern Deutung vorliegt. Muß das, was aufeinander folgt, auch schon deshalb ursächlich miteinander verknüpft sein? Werde nicht ungeduldig, Pätus Thrasea! Ich entwickle hier nur meine Grundsätze. Im übrigen traue ich – ohne Bescheidenheit sei es gesagt – deinem bewährten Scharfblicke mehr als dem meinigen.«
»Und trautest du meinem sogenannten Scharfblick auch nicht, so würdest du meinen Worten doch glauben als denen eines wahrhaftigen Mannes. Ich vermute nicht nur, ich
weiß
, daß Agrippina die Mörderin ist; ich weiß es aus dem Mund einer Frau, die bei jenem Feste zugegen war und häufig genug mit Agrippina verkehrte, um ihre Eigenheiten zu kennen; ja, die den Dolch, mit dem das Verbrechen geschah, auffand und als eine Waffe der Kaiserin-Mutter erkannte.«
»Beim Herkules,« rief Soranus, »nun schweige ich.«
»Wer ist jene Frau?« erklang es im Chore.
»Ich darf sie nicht nennen.«
»Schade,« versetzte Flavius Scevinus.
»Aber ich kann mir sie denken,« sagte Metella.
»Wo aber fand jene Unbekannte den Dolch?« fragte Barea Soranus.
Hiernach Seneca: »Augenscheinlich am Orte der That; der Verbrecher hatte ihn von sich geworfen. Darf ich euch aber jetzt einen Rat erteilen, so wäre es der: Laßt uns an das gedenken, was kommen soll, nicht aber an das, was gewesen ist. Agrippina hat sich außerhalb des Gesetzes gestellt: das ist zweifellos. Aber wäre sie auch so rein, wie die fromme Iphigeneia, so würde dennoch das Wohl des Staates ihre Entthronung fordern. Ich sage Entthronung, denn keiner von uns kann besser wissen, als ich, wie sehr sie in Wahrheit Kaiserin ist, während Nero, mein herrlicher, mein göttlich begabter Schüler, nur eine Scheinregierung führt. Zu Anfang mag das heilsam gewesen sein: jetzt aber empört sich die Seele aller edel gesinnten Römer wider die schmachvolle Thatsache, daß ein Weib, und noch dazu die heimliche Buhlerin prätorianischer Leibwächter, über den ruhmvollen Staat des Augustus gebietet. Jede Woche, die wir verlieren, um dieser Herrschaft den Boden zu untergraben, ist eine ernste Gefahr für das Weltreich. Wollt ihr' s erleben, daß Agrippina im ewig wachsenden Brand ihres Ehrgeizes etwa dem eigenen Sohne so mitspielt, wie ihrem Stiefsohn Britannicus? Daß sie den Cäsar in Ketten wirft oder ermordet, um vergnügt mit irgend einem robusten Kerl aus der Prätorianerkaserne Hof zu halten, und das römische Volk auszusaugen, wie eine schwellende Giftspinne? Ich sehe sie vor mir, und in der That, sie gleicht einer ungeheuren Spinne. Da, wo die Strahlen ihres Netzes zusammenlaufen, steht das Palatium. All die einzelnen Fäden aber, bis zur Grenze des Reiches, sind mit Soldaten besetzt, die sie erkauft hat mit den Reichtümern unsrer Provinzen. Sie ist danach angethan, von ihrem Schlafgemach aus den Erdkreis zu knechten;
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