Nero
ihn aus seiner maßgebenden Stellung bei Hof zu verdrängen.
Seneca nämlich beurteilte – trotz seiner Theorie von der Allgewalt des Naturwillens, der in der Liebe um so entschiedener zum Ausdruck gelange, je eigensinniger die Verliebtheit sich zu gebärden scheine – die Leidenschaft des Cäsars als einen vorübergehenden Rausch, der sich ohne Nachteil für Neros geistige Entwickelung austoben werde, falls man ihm Zeit lasse, im entgegengesetzten Falle jedoch die bedenklichsten Folgen nach sich ziehen könne.
Noch scheute Agrippina sich vor dem Aeußersten – vor der Umgehung Senecas nämlich und der Ausführung ihrer Pläne auf eigene Faust; – denn die im großen und ganzen verständige Haltung Neros nach jener letzten unangenehmen Erörterung und die strenge Zurückgezogenheit Actes flößten ihr einen gewissen Respekt ein.
Auch waren die Worte der unglücklichen Octavia vielleicht nicht spurlos an ihr vorübergegangen.
Dennoch glaubte der Staatsminister den Zeitpunkt ziemlich nahe gerückt, da es heißen würde: ›Dem Uebermute der Agrippina Wälle entgegengetürmt!‹
»Genossen,« sprach Pätus Thrasea mit seiner herzbewegenden Stimme, »ich bin der Ansicht, daß wir, falls nicht Nero für eine entscheidende That sofort zu gewinnen ist, selbständig vorgehen –, wenn auch so schonend als möglich. Der heillose Vorfall bei dem Gartenfeste des Flavius Scevinus hat uns ja zur Genüge gezeigt, daß die Mörderin des Kaisers Claudius und des Britannicus ihre schmachvollen Künste noch nicht verlernt hat. Wenn unser Annäus Seneca, dem diese Missethaten von Anfang bekannt waren, nicht schon längst für die Beseitigung der Verbrecherin Sorge getragen, so ist dies lediglich eine vielleicht allzu zaghafte Rücksicht auf den pietätsvollen Sohn gewesen, der von den Frevelthaten der Mutter nichts ahnte. Mehr und mehr jedoch scheint sich Nero von den Staatsgeschäften zurückzuziehen. Agrippina ist thatsächlich die Alleinherrscherin, und neben einigen klugen und verständigen Maßnahmen übt sie, wo es ihr wirklicher oder vermeintlicher Vorteil erheischt, die verruchteste Willkür aus.«
»Du sagst es!« riefen Metella und die Aegypterin Epicharis zugleich.
»Insbesondere,« fuhr Pätus Thrasea fort, »hat mich die schändliche Missethat gegen Flavius Scevinus empört. Ich schwieg – denn ich schweige da, wo das Reden verfrüht erscheint. Sofort aber bin ich klar darüber gewesen, daß jener geheimnisvolle Dolchstoß die Antwort Agrippinas auf den patriotischen Trinkspruch unsres herrlichen Freundes war. Viele Wochen hindurch lag Flavius Scevinus schwer krank danieder. Jetzt endlich ist er dank der Heilkunst seines redlichen Polyhymnius, wieder genesen. Ich habe im Einverständnis mit Flavius euch hier in dies Zimmer entboten; denn es erscheint mir ebensosehr eine Pflicht der Freundschaft, wie der Vaterlandsliebe, die widerwärtige Angelegenheit energisch ins Auge zu fassen.«
»Du meinst, es herrsche kein Zweifel über den Thäter?« wandte sich Barea Soranus an Pätus Thrasea.
»Alle Welt raunt sich zu, Agrippina sei die Verbrecherin.«
»Und die Beweise für ihre Urheberschaft? Ich hasse dies erbärmliche Weib, – aber ich bin ein Freund der Gerechtigkeit. Noch will mir das, was Pätus Thrasea angeführt hat, nicht vollständig einleuchten.«
»Wieso?« fragte Pätus.
»Nun, ich sehe zum Beispiel vollkommen die Gründe ein, weshalb Agrippina den Kaiser Claudius aus dem Wege geräumt hat. Der Tropf war ihr persönlich zum Ekel; seine schulmeisterlichen Schrullen kamen ihr überall quer; und wenn es denn in der That vergiftete Pilze waren, mit denen sie dem Schwächling zu Leibe ging, so will ich meinetwegen auch das alberne Witzwort glauben, das man ihr in den Mund legt: ›Pilze sind ein Gericht, das die Menschen zu Göttern macht.‹ Ich fasse das, obwohl ich es schurkisch und dirnenhaft finde. – Sie hat dann später dem edlen Britannicus vergiftetes Wasser unter den Glühwein gegossen. Auch hier muß ich einräumen, daß die Motive der Verbrecherin logisch, daß ihre Handlungen vom Standpunkte eines ehrbegierigen Schandweibes klar und verständlich waren. – Wenn sie jedoch um einiger Worte willen – die doch schließlich nur dem Cäsar zu Gemüt führen sollten, daß er aufgehört habe, ein Kind zu sein, – wenn sie, sage ich, dem Flavius Scevinus diesen harmlosen Trinkspruch mit sofortiger Abschlachtung lohnt, so bin ich ratlos über die Gründe. Man schießt doch nicht mit Katapulten
Weitere Kostenlose Bücher