Nero
bedeuten: ›Die Manen des Kaisers Claudius und des armen Britannicus‹? Und weshalb sind Claudius und Britannicus meine Verwarner?«
Seneca zuckte die Achseln.
»Mit deiner Erlaubnis, Herr, verschiebe ich hier die Auslegung um einige Tage.«
»Weshalb?«
»Ich könnte mich irren . . .«
»Irren? Wie schaust du mich an, Seneca? So bang, so verschleiert, und doch wie von Trotz erfüllt! Sprich! Beim Herkules, ich bin es nun müde, ewig im Finstern zu tappen! Wäre ich besser berichtet, so hätte ich Zeit gehabt, mich gründlicher vorzusehen. Also was ist's mit den Manen des Claudius und des Britannicus?«
»Herr, du kannst mich von deinen Soldaten durchbohren lassen, denn dein ist die Macht; aber du wirst niemals im stande sein, mich zum Reden zu zwingen, wo die Klugheit mir Schweigen gebietet. Ich muß schweigen, Cäsar – um deinetwillen. Sieh erst zu, was du bei Agrippina ausrichtest! Hiervon mach' ich es abhängig, ob ich dir antworte oder nicht. Meines Wissens nämlich bin ich der Freund und Berater Neros, nicht ein Knecht seiner Willkür.«
Der Kaiser krauste die Stirne. Ein bitteres Wort schwebte ihm auf den Lippen. Endlich sagte er mit vollendeter Selbstbeherrschung: »Wohl, – ich vertraue dir. Mehr noch: ich bitte dich um Verzeihung. Als vorhin die Verzweiflung mich packte, hab' ich dich angefallen, wie ein Molosser. Ich schäme mich des. Ich weiß, teurer Seneca, was ich dir schulde. Ich weiß, was du dem römischen Staate bist und der Menschheit. Dir soll von jetzt noch unumschränktere Vollmacht verliehen sein, als bisher; du sollst gestalten und schaffen dürfen, was dir beliebt; du sollst meinetwegen der Lehre des Nicodemus Tempel erbauen, und ihren Bekennern den Zutritt zu allen Aemtern eröffnen: wenn ich nur Acte wiedergewinne, meine himmlische Acte! Ich begehre nicht Ruhm noch Macht: laßt mir das Glück und die stille Beschaulichkeit! Siehst du: wenn ihr die Eine mir raubt, so ist alles andre nur Spreu. Das ganze Weltall wird dann nicht ausreichen, die entsetzliche Lücke zu füllen.«
Seneca nickte, als fange er an, die elementare Glut dieser Leidenschaft zu begreifen.
»Verstehe nicht falsch,« fuhr Nero fort. »Ich gedenke nicht, meinen Obliegenheiten als Regent untreu zu werden. Ich will meine Pflicht erfüllen, – frei jedoch von Ehrsucht und Herrschbegier. Ich will der vornehmste und eifrigste Diener des Staates sein.. – Nur Acte verlang' ich zurück –: sonst stürzt alles über den Haufen! Sage das meiner Mutter! Deiner Beredungskunst wird es besser gelingen, als mir, der Bethörten die Augen zu öffnen.«
»Ich will thun, was ich kann,« sagte der Staatsminister entschlossen. »Du weißt – und eben noch hast du mir's vorgehalten – daß ich von Anbeginn über Acte und ihr Verhältnis zu dir verstimmt war. Die erste Pflicht eines Fürsten heißt Achtung vor dem Gesetz. Aber ich sehe nun, daß wir alle gefehlt haben, als wir die unglückliche Octavia dir zugesellten. Eros ist hartnäckig; er weicht keiner Vernunft. So will ich denn Mittel und Wege suchen, deine Verbindung mit Octavia zu lösen . . .«
»Zu lösen?« rief Nero im Tone eines Verzückten. »Welch ein Glück – auch für sie! Gelöst! Frei! Und Acte? Wird es dann möglich sein . . .?«
»Mein junger Freund,« sagte der Staatsminister bewegt, »außergewöhnliche Menschen erheischen außergewöhnliche Maßnahmen. Das Staatswohl geht über alles. Ein unglücklicher Regent aber ist ein schlechter Regent.«
»Teurer, Allweiser, ich danke dir . . . Ja, der Staat soll gedeihen, die Welt soll blühen wie ein einziger Frühlingsgarten, wenn du zu stande bringst, was ich so leidenschaftlich ersehne.«
Nun schwiegen sie lange Zeit. – Höher und höher stieg das Albanergebirge vor den nächtlichen Reitern empor, eine gespenstische, wildzerklüftete Wand. Der Weg schien kein Ende zu nehmen.
»Noch zwanzig Minuten,« sprach der getreue Phaon, als Nero seine wachsende Ungeduld in die schläfrige Mondnacht hinausklagte.
Weiter, weiter!
Da hielten sie denn mit ihren dampfenden Rossen vor dem Vestibulum. Phaon pochte. Der Thürhüter legte fragend den Kopf an das Gitter.
»Der Kaiser!« rief Nero gebieterisch.
Die Thüre drehte sich in den Zapfen. Ehrfurchtsvoll beugte der alte Ostiarius die Kniee.
»Meine Mutter . . .« fuhr Nero mit steigender Aufregung fort; »meldet mich der Kaiserin-Mutter! In dieser Minute noch!«
Der Gehilfe des Thürstehers erlaubte sich einen schüchternen
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