Nero
Kaltblütigkeit.
»Du hast sie entführen lassen. Deine Banditen haben sie nächtlicherweile geraubt.«
»Mein Sohn, ich verstehe dich nicht.«
Dem jungen Fürsten stieg das Blut in hochtobender Welle zum Angesicht. Seine Stirnadern schwollen, wie unheilverkündende Schlangen.
»Du sollst mich verstehen lernen,« rief er mit heiserer Stimme. »Aber ich will mich beherrschen, – sonst möchte ein Unglück geschehen. Seneca, sprich du an meiner Statt!«
Der Staatsminister setzte nun kurz auseinander, was Agrippina schon wußte, und fügte hinzu, daß es nicht klug sei, den Bogen zu straff zu spannen. All seine Philosophie, all seine Beredsamkeit bot er auf, um Agrippina zu rühren.
Umsonst.
»Mutter!« rief Nero, beide Hände krampfhaft zur Faust geballt. »Lüge nicht! Ich verachte dich wie die niedrigste Dirne vom Stadtwall, wenn du zu feige bist, uns die Wahrheit zu sagen.«
»Wohl!« versetzte sie, blaß wie die Marmorbilder rings in den Wandnischen. »Wohl! – Du hast richtig vermutet. Acte ist entfernt worden, – auf meinen Befehl, und zum Heile des Staates. Ich verbanne sie, – und niemals wirst du erfahren, wo sie sich aufhält . . . Niemals!«
»Du hast sie getötet!« stöhnte der Kaiser, jählings zurücktaumelnd.
»Nein,« erwiderte Agrippina fest. »Bei allem Heiligsten, was ich jemals empfunden, bei meiner Liebe zu dir, den ich einst auf den Knieen gewiegt: – ich habe dafür gesorgt, daß sie nicht Schaden und Not erleide! Glaubst du mir nun?«
»Ja. Gleichwohl: was frommt mir diese klägliche Zusage? Daß wir getrennt sind, das ist Schaden und Not genug. Ich will sie wieder haben, – um jeden Preis! Wo ist sie? Du sollst und du mußt mir antworten.«
»Niemals!«
»Niemals? – Und wenn ich darüber zu Grund gehe?«
»So stirbt Nero wenigstens unbefleckt, auf der Höhe seiner unvergleichlichen Machtstellung, nicht entweiht durch die dauernde Liebe zu einer nichtswürdigen, verächtlichen Sklavin.«
»Mutter!«
Er hatte die Faust erhoben. Ein Schauer überlief seinen fiebernden Leib.
»Wisse, daß kein andres menschliches Wesen diesen Moment überlebt hätte,« sagte er, die Hand wieder sinken lassend. – »Leb wohl! Ich werde sie suchen. – Beim allmächtigen Jupiter, jetzt erkenn' ich die Löwin, die dem schlummernden Sohn nach der Gurgel faßt! Hüte dich, Mutter, und besinne dich eines Besseren! Bringe mich deinem Dünkel, deinem thörichten Stolz nicht zum Opfer! Sonst . . .«
»Nun? Was? Sonst . . .?«
»Leb wohl!«
Wie sinnlos stürzte Nero von dannen.
Sechstes Kapitel
In stürmischer Eile sausten die Rosse thalabwärts. Nach kurzer Frist machte man Halt. Die Tiere drohten zu unterliegen. Man erquickte sie mit Wasser und Brot und rieb sie mit Ulmenlaub.
Nach Verlauf einer halben Stunde setzte man den Ritt in gemäßigter Schnelligkeit fort. Vom Frühlicht bestrahlt, lag die Zweimillionenstadt wie eine erwachende Riesin vor den Blicken des Kaisers. Die bräunliche Dunstschicht über den hochaufragenden Tempeln, Theatern, Palästen und Thermen wogte und wallte wie ein rätselhaftes Gewand, unter dem sich schlaftrunken die Glieder regten . . .
Endlich erreichte man den Bogen des Drusus. Bleich vor sich hin starrend, sprengte der Kaiser über das menschenbelebte Forum, ohne sich um die Heilrufe, die ihm lauter als jemals entgegenschallten, irgend zu kümmern.
Allenthalben standen erregte Gruppen, die sich über das ungewohnte Ereignis – den nächtlichen Ausritt des Imperators – mit fiebernder Lebhaftigkeit unterhielten und bereits eingehend unterrichtet waren: denn die Sklavinnen aus der Villa der Acte, insbesondere Erotion, waren, sobald ihre Furcht sich etwas gelegt hatte, eiligst in die Subura gestürzt, um den Erbsenverkäufern und Bäckern die Erlebnisse dieser entsetzlichen Nacht unter Jammern und Wehgeschrei zu erzählen.
So wenig Uebles man der jungen Octavia auch nachsagen konnte: man war dennoch geneigt, die Partei des Kaisers zu nehmen; denn Octavia in ihrer majestätischen Ruhe galt für gleichgültig gegen ihren Gemahl, während der Name Actes von einer wundersamen Gloriole weiblicher Zärtlichkeit und Minne umgeben schien.
»Ich habe sie selbst gesehen, die schöne Freigelassene des Nicodemus,« sagte ein hagerer Klient, der eben aus dem Hause seines Patrons trat. »Sie ist ein zauberhaftes Geschöpf, – und ich kann mir wohl ausmalen, wie der Cäsar um ihren Verlust grollen und toben mag.«
»So ist's, Lucius,« versetzte ein
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