Nervenflattern
erneut, und viel später gestand sie ihm, dass sie bewusst immer um die gleiche Tageszeit zum Bäcker gegangen war in der Hoffnung, ihn dort zu treffen.
Dann geschah vier Wochen, die Lenz unendlich lang vorkamen, nichts, weil sie in Urlaub gefahren war, was er nicht wusste. Beim nächsten Zusammentreffen in der Bäckerei hatte Lenz zum ersten Mal seit langer Zeit Herzklopfen gehabt. Trotzdem fragte er sie leise, ob sie sich vorstellen könne, sich mit ihm zum Essen zu verabreden.
»Nein«, hatte sie mit großer Bestimmtheit geantwortet.
»Das kann ich mir ganz und gar nicht vorstellen.«
Dann hatte sie einen Zettel aus ihrer Tasche gezogen, auf dem nichts weiter als
IHRE TELEFONNUMMER? stand.
Nachdem Lenz seine Mobilnummer darauf notiert hatte, ließ sie den Zettel wieder in ihrer Tasche verschwinden.
Niemand in der Bäckerei hatte diesen, wie Lenz später einmal sagte, konspirativen Austausch von Informationen bemerkt.
Drei Tage später war dann, endlich, ihr Anruf gekommen.
Sie telefonierten eineinhalb Stunden, dann war der Akku seines Mobiltelefons leer und er hatte einen ersten Eindruck von dem bekommen, auf das er sich besser nicht einlassen sollte. Er tat es trotzdem.
Jetzt hatte er ihr von dem vermeintlichen Selbstmörder und dessen Mann und seiner Mutter erzählt. Und davon, dass er noch immer nicht wusste, was er von der ganzen Sache halten sollte.
»Das ist alles merkwürdig«, stimmte sie lächelnd zu.
»Wenn Marnet allerdings die Leiche so schnell freigibt, musst du dir keine Gedanken machen. Erzähl ihm am Montag von dem Gespräch und schau, was er sagt. Aber heute musst du dich voll und ganz auf mich und meine Bedürfnisse konzentrieren.«
»Mit dem größten Vergnügen.«
Dann waren sie drei Stunden durch eine Ausstellung gezogen, wobei Lenz nicht verstehen konnte, was an den Dingen, die er zu sehen bekam, Kunst sein sollte.
Banause, hatte sie geschimpft.
Zum Essen suchten sie sich, wie immer, ein leicht heruntergekommen aussehendes Lokal, in das sich nach menschlichem Ermessen kein Mitglied der politischen Elite Hannovers, dem sie unter Umständen bekannt vorgekommen wäre, verlaufen würde. Sie zahlten bar und gingen danach zu einem Hotel, in dem Maria telefonisch ein Doppelzimmer auf seinen Namen reserviert hatte.
»Erich fährt Anfang September mit dem Ministerpräsidenten für 10 Tage nach Amerika«, erklärte sie ihm zwei Stunden später.
»Ach, wie apart«, antwortete Lenz, legte seinen Kopf auf ihren schweißnassen Bauch und streifte mit einer Hand über ihre nackten Beine.
»Nach Wisconsin, zum Anschauungsunterricht im Umgang mit Sozialhilfeempfängern und Straffälligen. Wie wäre es, wenn du in dieser Zeit einen Wellnessurlaub in den Dolomiten verbringen würdest?«
Er nahm die Hand von ihren Beinen, hob den Kopf und sah sie an.
»Wellnessurlaub? In den Dolomiten? Warum sollte ich das machen?«
»Weil du dann eine ganze Woche in meiner nächsten Nähe sein dürftest. Und vielleicht würde ich dich endlich mal an einem Morgen zu Gesicht bekommen. Verknittert, verknautscht und alt, wie du nun einmal bist.«
Trotz der langen Zeit, in der sie sich nun, so oft es ihre Ehe zuließ, sahen, hatten sie noch nie eine ganze Nacht miteinander verbracht. Sie sprachen gerne darüber, wie es sein würde, an einem Morgen gemeinsam aufzuwachen, aber es hatte sich nie die Gelegenheit dazu ergeben.
»Das heißt, du fliegst nicht mit ihm nach Wisconsin zum Gulag besichtigen, sondern fährst für eine Woche nach Italien, um mich am Morgen zu besichtigen?«
»Genau. Ich war ja, wie du dich sicher erinnern kannst, vorletztes Jahr schon mit ihm und dem Charmebolzen von Ministerpräsidenten und einigen anderen Dumpfbacken drüben und habe mich eine Woche lang köstlich gelangweilt. Lieber lasse ich mich scheiden, als noch mal diese Strapazen und die dummen Gespräche auszuhalten.«
»Gute Idee.«
»Was?«
»Laß dich endlich scheiden.«
Sie legte ihre Hand auf seinen Kopf, drückte ihn zurück auf ihren Bauch und fuhr ihm sanft über den Hals.
»Nicht schon wieder, Paul. Bitte nicht. Du weißt, was du mir bedeutest, aber du weißt auch, warum wir uns in solchen Momenten nicht noch näher sein können.«
»Schon gut. Manchmal würde ich mir wünschen …«
Sie legte ihren Zeigefinger auf seinen Mund.
»Pssst. Manchmal träume ich auch, aber die Realität ist Kassel und ich bei mir und du bei dir.«
Dann küsste sie ihn. Zuerst zärtlich, dann mehr fordernd und
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