Nervenflattern
kriege gleich Besuch vom OB, der will irgendwas mit mir besprechen. Wenn er weg ist, komme ich zu dir rüber. Vielleicht findest du ja in der Zwischenzeit doch noch die Nummer von Frau Brill heraus.«
Ich komme gerne zu dir rüber, wenn der OB mich nicht umgebracht hat, dachte er.
»Geht dir das so an die Nerven, dass Schoppen-Erich dich besucht? Du bist doch sonst nicht so schüchtern. Was will er denn?«
Schoppen-Erich war der in der Stadt bekannte Spitzname des OB in Anlehnung an seinen durchaus großzügigen Umgang mit Alkoholika.
»Ich habe keine Ahnung!«
10 Minuten später hatte Lenz sich wieder so weit unter Kontrolle, dass er dem Eintreffen des OB etwas gelassener entgegensah. Ich kann es sowieso nicht aufhalten, dachte er.
Als es an seiner Tür klopfte, hatte er trotzdem einen Riesenkloß im Hals.
Er stand auf, ging zur Tür und öffnete. Der OB kam herein und schüttelte ihm die Hand.
»Tag, Herr Lenz, und danke, dass Sie sich die Zeit nehmen.«
»Ist doch selbstverständlich, Herr Bürgermeister.«
Lenz und Zeislinger waren sich in den letzten Jahren das eine oder andere Mal über den Weg gelaufen. Der OB kannte ihn sicher nicht gut, konnte sich jedoch bestimmt an ihn erinnern. Vor etwa drei Jahren hatten sie auf einem Geburtstagsfest des Polizeipräsidenten an einem Tisch gesessen, mit Maria in der Mitte. Lenz erinnerte sich mit Schaudern daran.
»Ich hatte heute Morgen dieses Schreiben in der Post, Herr Lenz.« Er holte einen Briefumschlag aus seinem Jackett und gab ihn dem Kommissar.
»Es ist kein Absender drauf, nicht, und der Inhalt ist auf Englisch und ziemlich schwer zu verstehen. Ich habe mit dem Polizeipräsidenten telefoniert, der hat mir gesagt, ich soll mich an Sie wenden, vielleicht könnten Sie ja mit diesem Zeug etwas anfangen.«
Lenz atmete erleichtert durch und musste innerlich grinsen, weil sein Gesprächspartner immer »Nicht« einstreute und das wohl gar nicht mehr registrierte.
»Wir sind hier bei den Tötungsdelikten, Herr Zeislinger. Ich weiß wirklich nicht, ob …«
»Ich weiß, Herr Lenz, das weiß ich doch, nicht«, wurde er von Zeislinger unterbrochen.
Lenz sah sich das Kuvert an. Ein normaler Fensterumschlag, ohne Absender, wie Zeislinger gesagt hatte. Er nahm den Inhalt heraus. Es war ein einzelnes, weißes A4-Blatt, einseitig beschrieben und zweimal gefaltet. Oben links stand die Adresse.
An den
Vorsitzenden des Aufsichtsrates
der Documenta 12, Erich Zeislinger
Obere Königsstraße 8
34117 Kassel
Dann kam, ohne Betreffzeile oder Anrede, der Text. Lenz hatte lange Zeit kein Englisch mehr gesprochen, deshalb hatte er auch nach dem dritten Lesen keine Ahnung, was genau der Absender dem OB mitteilen wollte. Er las den Text noch einmal.
And for you it’s a big shame.
So don’t forget to call my name.
The turkish woman was an accident?
but not for me so you pay the rent!
And what about the man in the car?
He was a victim, the second so far!
No suicide has ever begun
with a stuff we call soman.
From now on we spell the game
in a totally new and dangerous name:
DOCUMENTA VX
Das kann ich noch hundertmal lesen, ich verstehe es trotzdem nicht, dachte er.
»Wann kam der Brief denn bei Ihnen an?«
»Er war heute früh in der normalen Post, Herr Lenz. Meine Sekretärin öffnet meine Post immer sehr zeitig, damit sie das Wichtige vom Unwichtigen trennen kann, nicht. Wenn so etwas dabei ist, spricht sie mich immer sofort darauf an.«
»Sie haben öfter solche Post?«
»Nein. Manchmal fühlt sich ein Bürger nicht richtig vertreten von mir und schreibt mir einen bösen Brief, aber ich kann es ja unmöglich allen recht machen, nicht?«
»Verstehe. Aber einen solchen Brief in Englisch und mit solch wirrem Inhalt haben Sie zum ersten Mal bekommen?«
»Ja, selbstverständlich. Ich wäre auch damit nicht zu Ihnen gekommen, wenn nicht der Herr Polizeipräsident …«
»Schon gut, Herr Zeislinger. Am besten, Sie denken sich nichts dabei. Ich gebe das Schreiben an unsere Analysten weiter, vielleicht können die damit etwas anfangen. Sobald ich weitergekommen bin, melde ich mich bei Ihnen.«
Lenz hätte das Gespräch gerne beendet, aber der Bürgermeister schien noch etwas auf dem Herzen zu haben.
»Das Schreiben hat mich nicht in meiner Eigenschaft als Bürgermeister erreicht, sondern als Aufsichtsratschef der Documenta-Gesellschaft. Hoffentlich hat das nichts mit den Gerüchten zu tun, die sich um die
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