Nervenflattern
bei ihr ist das nicht so. Sie hat ihren Namen behalten, als sie Kurt geheiratet hat, das hat er mir mal bei einer Feier erzählt.«
»Meinen Sie, wir können kurz bei Ihrer Tochter anrufen? Es ist wirklich sehr, sehr wichtig.«
Der Alte sah auf seine Uhr.
»Sie schläft bestimmt, aber wenn es so wichtig ist, wird sie es verstehen. Kommen Sie herein, Herr Kommissar, wir reden besser drinnen weiter.«
Lenz folgte den beiden ins Wohnzimmer.
Bilicin gab seinem Sohn mit einem Blick zu verstehen, dass die junge Frau, die noch immer spärlich bekleidet im Flur herumstand, besser in dessen Zimmer warten sollte. Dann nahm er das Telefon von der Anrichte, die neben der Tür stand, und wählte. Es dauerte einen Moment, bis am anderen Ende abgenommen wurde.
»Hallo Kurt, hier ist Ümit. Kannst du mir Emina geben, bitte?« Wieder musste Bilicin kurz warten.
Was dann folgte, konnte Lenz nicht verstehen, weil der Alte türkisch mit seiner Tochter sprach. Er machte es sehr leise und seine Stimme klang beruhigend. Dann nickte er, murmelte etwas und legte auf. Lenz sah ihn irritiert an.
»Keine Angst, Herr Kommissar, sie hat mir versichert, dass Sie bei ihr vorbeikommen können. Sie erwartet Sie.«
»Sehr gut«, antwortete der Polizist, obwohl er lieber selbst mit der Frau telefoniert hätte, um vielleicht schon ein Team zur Wohnung von Kevins Mutter schicken zu können.
»Und jetzt sagen Sie mir bitte, warum Sie nach dem kleinen Kevin und nach seiner Mutter fragen. Hat die Frau etwas mit dem Mord an meiner Frau zu tun?«
»Vielleicht, Herr Bilicin. Es gibt einen Hinweis, der über den Namen des Jungen zu ihr führt, aber bis jetzt ist alles noch reine Spekulation. Wissen Sie, was die Frau arbeitet?«
»Nein. Kurt redet nicht gerne über sie, weil die beiden sich viel gestritten haben und lange um das …« Er suchte nach einem Wort.
»Das Sorgerecht«, mischte sich der Sohn wieder ein.
»Sie haben lange um das Sorgerecht für Kevin gestritten. Und er musste ihr viel Geld bezahlen, glaube ich. Emina hat das mal erwähnt.«
»Sie wissen auch nicht, was die Frau arbeitet?«
Er schüttelte den Kopf.
»Leider nicht«, antwortete Ümit Bilicin nannte ihm die Adresse seiner Tochter.
Noch im Treppenhaus zündete sich Lenz eine Zigarette an. Dann wählte er Hains Nummer.
»Einsatz, Thilo«, informierte er den jungen Kollegen kurz, als der sich verschlafen gemeldet hatte und wegen der unchristlichen Uhrzeit protestieren wollte.
»Auf solche Ideen kommst nur du, Paul. Willst du mir nicht wenigstens sagen, um was es geht?«
»In 10 Minuten.« Lenz beendete das Gespräch, rannte zum Auto und fuhr los.
28
Hain wartete schon an der üblichen Stelle. Er hatte seinen Nachtgeruch mit einer gehörigen Portion Aftershave oder Parfum überdeckt.
»Junge, Junge, da fallen ja die Fliegen tot von der Wand, wenn sie an dir gerochen haben.«
»Wohin wollen wir?«, war das Einzige, das Hain in den nächsten beiden Minuten von sich gab. Lenz berichtete ihm von seinen Erkenntnissen der letzen Stunden, verschwieg jedoch aus guten Gründen Maria Zeislingers Anteil.
Der junge Oberkommissar legte den Rückwärtsgang ein, fuhr das kleine japanische Cabriolet aus der Parklücke und nahm Kurs auf die von Lenz genannte Adresse.
»Und da bist du ganz alleine draufgekommen?«
»Ganz alleine«, log der Hauptkommissar.
»Wie auch immer, es hört sich auf jeden Fall gut an. Die erste wirklich interessante Spur, würde ich sagen.«
»Deshalb hab ich dich aus dem Bett geholt. Wir besorgen uns jetzt bei Bilicins Schwiegersohn die Adresse seiner Exfrau, nehmen sie fest und quetschen auf dem Präsidium ein Geständnis aus ihr raus. Morgen um diese Zeit sind wir dann die Helden, die Kassel vor der Apokalypse bewahrt haben.«
Hain sah seinen Chef im Schein der vorbeihuschenden Straßenlaternen zweifelnd an.
»Du hast schon wieder was von dem Dope geraucht, oder?«
Sie fanden das Haus von Emina und Kurt Laukel in einer ruhigen Seitenstraße im Stadtteil Brasselsberg. Hier oben hatten sich die Wohlhabenden der Stadt ihre repräsentativen Häuser in ebensolche Vorgärten stellen lassen. Alter Villenbestand, der im Zweiten Weltkrieg wegen der Entfernung zur Innenstadt nicht beschädigt worden war, und neue Häuser mit teils extravaganter Architektur. Vor einem solchen Objekt parkte Hain nun seinen Mazda. Alles an diesem Anwesen strahlte Wohlstand aus. Der größte Teil des quadratisch angelegten Hauses bestand aus Glas, der Rest war nüchterner Beton.
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