Nervenflattern
Uhr.
»Lass uns zum Präsidium fahren. Ich will Uwe fragen, ob er was über die Leute weiß, die mit diesem Haus zu tun haben.«
Während der gesamten Rückfahrt gingen Lenz die beiden Toten in Baunatal nicht aus dem Kopf. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Simone Tauner für die Morde verantwortlich war, aber er wollte auch nicht an einen Zufall glauben.
Hainmüller hatte sich merkwürdig verhalten, hatte gelogen und damit einen gewissen Verdacht auf sich gelenkt. Und dann endete sein Leben kurze Zeit später durch einen Schuss in den Hals, während er in seinem geschmacklosen Polstersessel saß.
Lenz drehte den Rückspiegel in seine Richtung und sah sich an. Sein Gehirn arbeitete längst nicht mehr mit voller Leistung, seine Augen waren gerötet und schmerzten, und er hatte das Gefühl, die Welt um ihn herum sei in Watte gepackt. Das Gesicht, das ihn jetzt ansah, hätte auch zu einem alten Mann gehören können.
»Na, zufrieden mit dem, was du siehst?«
»Ganz und gar nicht!«
Er gähnte.
»Zwischen Hainmüllers Sorgerechtsentzug und der Tatsache, dass die Tauner im Veterinäramt gefeuert wurde, muss es eine Verbindung geben, Thilo. Ich kann sie zwar noch nicht sehen, aber sie muss da sein. Und von da aus ist es wahrscheinlich nur ein ganz kurzer Weg zu seinem Mörder.«
Hain nickte.
»Aber das würde bedeuten, dass Hainmüller und die Spezis vom Veterinäramt unter einer Decke stecken. Da fehlt mir noch die Logik.«
»Tja, Thilo«, seufzte der Hauptkommissar, »es kommt noch ein Haufen Arbeit auf uns zu. Aber wir sind jetzt einen Schritt weiter als heute Morgen. Normal hätten wir die Sache an die Kollegen von ZK20 abgegeben, jetzt allerdings haben wir zwei Tote, also ist es unser Fall, auch die Sache mit der Bestechung, oder was immer es gewesen sein sollte.«
Sie hatten die Innenstadt von Kassel erreicht und fuhren am Kinocenter vorbei. Lenz sah erneut auf die Uhr.
»Viertel nach fünf. Lass mich hier raus, ich will ein paar Schritte zu Fuß gehen. Wenn ich bei Uwe fertig bin, komme ich in dein Büro und hole dich ab.«
An der roten Ampel am Rathaus kletterte er müde aus dem Wagen und machte sich auf den Weg. Während er die Obere Königsstraße abwärts ging, bekam er Sehnsucht nach Marias Stimme. Mit einem Griff hatte er sein Telefon in der Hand, wählte, und wartete auf das Freizeichen. Aber noch vor dem ersten Klingeln meldete sich ihre Mailbox. Er hörte ihren Ansagetext bis zum Ende und beendete dann die Verbindung, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
Auch schön, dachte er.
Eine Minute später rief sie zurück.
»Ich bin gerade aus dem Parkhaus rausgefahren, wahrscheinlich hatte ich da unten kein Netz«, erklärte sie ihm.
»Aber ich wollte unbedingt noch deine Stimme hören, bevor ich heute Abend mit meinem Ehegatten zu einem Empfang des Regierungspräsidenten gehe.«
»Du glaubst nicht, wie ich mich darüber freue.«
»Dass ich mit Erich zu einem Empfang muss?«
Er lachte.
»Nein, das bestimmt nicht. Aber dass du mich vorher noch hören wolltest. Mir ging es eben genauso.«
»Du klingst nicht gut, Paul. Ist was passiert?«
»Wir haben zwei Tote in Baunatal. Der Abteilungsleiter vom Jugendamt, der uns am Sonntag so genervt hat, und seine Frau liegen erschossen in ihrer Wohnung.«
Er erzählte ihr stichwortartig, was seit ihrem Abschied am Herkules vor nicht einmal 18 Stunden alles passiert war.
»Kennst du einen Stricker vom Veterinäramt?«, fragte er zum Abschluss seiner Erklärungen.
»Der ist ein paarmal bei uns zu Hause gewesen. Ein Parteikumpel von Erich, glaube ich. Wenn die beiden was zu besprechen hatten, war ich aber immer außen vor.«
»Und was ist mit seinem Stellvertreter, einem Herrn Freudenstein?«
»Der war auch ab und zu dabei, aber nicht immer. So ein Fleischklops, richtig?«
»Richtig«, bestätigte Lenz.
»Aber was die beiden oder die drei ausgeheckt haben, weißt du nicht.«
»Nein, tut mir leid, keine Ahnung. Wahrscheinlich habe ich die Zeit immer genutzt, um in deinen Armen zu liegen und unanständige Dinge zu treiben.«
»Maria …«
»Warte mal kurz«, bat sie ihn.
»Ich muss Schluss machen, Erich ist in der Leitung. Wir sehen uns morgen Abend. Tschüss.«
Lenz steckte das Telefon weg und setzte seinen Fußmarsch Richtung Präsidium mit deutlich besserer Laune fort. Am Scheidemannplatz trank er in einer Coffeebar zwei doppelte Espressi im Stehen. Als er an der Apotheke vorbeikam, in der er sich vor ein paar Tagen den Regenschirm
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