Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
stelle mich an die Startlinie, und wenn ich fertig bin, teilst du mir für zwei Monate zwei Vollzeit-Beamte und freien Zugang zu allen Datenbanken zu.«
31
»Von was redest du?«
»Du weißt, wovon ich rede.«
»Wenn es noch immer um die Vergewaltigung deiner Schwester geht, kann ich nur ablehnen, Harry. Ich gehe davon aus, du erinnerst dich, dass der Fall m it allem Nachdruck zu den Akten gelegt worden ist.«
»Daran erinnere ich m ich, Chef. Ich entsinne m ich noch an den Bericht, in dem stand, sie leide unter dem Down-Syndrom, und deshalb sei es durchaus vorstellbar, dass sie die Vergewaltigung erfunden hat, um zu kasc hieren, dass sie von einer zufälligen Bekanntschaft schwanger geworden ist. Danke, daran erinnere ich mich.«
»Es gab keine Spuren …«
»Sie wollte das geheim halten. Mein Gott, Chef, ich war in ihrer Wohnung in Sogn und hab im Wäschekorb im Bad zufällig einen vollkommen blutverschmierten BH gesehen. Ich musste sie zwingen, mir ihre Brust zu zeigen. Er hat ihr die Brustwarze abgeschnitten, und sie hat über eine Woche geblutet. Sie glaubt, dass alle Menschen wie sie sind, und als ihr dieser feine Pinkel erst ein Essen ausgab und sie dann fragte, ob sie bei ihm i m
Hotelzimmer einen Film sehen wollte, dachte sie bloß, dass der ja ganz schön nett war. Und selbst wenn sie sich an die Zimmer-nummer erinnert hätte, wäre das Zimmer sicher schon gesaugt und gewischt gewesen. Und die Bettwäsche wäre seitdem sicher auch bereits mindestens zwanzig Mal gewechselt gewesen. Da sieht es schlecht aus mit Spuren.«
»Es hat sich aber niemand an blutige Laken erinnert …«
»Ich habe schon m al in einem Hotel gearbeitet, Møller. Es würde dich erstaunen, wie viele blutige Laken da im Laufe von wenigen Wochen gewechselt werden. Die Leute scheinen nichts anderes zu tun als zu bluten.«
Møller schüttelte energisch den Kopf.
32
»Sorry, aber du hattest die Gelegenheit, das alles zu bew eisen.«
»Nicht lang genug, Chef. Ich hatte nicht genug Zeit.«
»Man hat nie genug Zeit. Aber irgendwann m uss man einen Schlussstrich ziehen. Bei unseren Ressourcen …«
»Dann gib wenigstens mir freie Hand. Einen Monat lang.«
Møller sah plötzlich auf und kniff ein Auge zusammen. Harry wusste, dass er entlarvt war.
»Du dummes Arschloch, du hatte st die ganze Z eit über Lust auf den Job und wolltest bloß sehen, was du herausholen kannst, nicht wahr?«
Harry schob die Unterlippe vor und neigte den Kopf hin und her. Møller sah aus dem Fenster. Dann seufzte er.
»O.k., Harry. Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber wenn du die Sache vergeigs t, muss ich ein paar Entscheidun gen treffen, die ich, wie einige hier in der Behörde m einen, schon längst hätte fällen sollen. Du weißt, wovon ich rede?«
»Mich achtkantig rausschmeißen, Chef«, sagte Harry grinsend.
»Um was für einen Job handelt es sich?«
»Ich hoffe, dein Sommeranzug ist sauber und du weißt, wo dein Pass ist. Dein Flugzeug ge ht in zwölf Stunden und du hast einen weiten Weg vor dir.«
»Je weiter, desto besser, Chef.«
Harry saß auf einem Stuhl an der Tür der engen Sozialwohnung in Sogn. Seine Schwester saß am Fenster und blickte in die Schneeflocken im Lichtschein der Laterne. Sie schniefte ein paar Mal. Da sie ihm den Rücken zudrehte, konnte Harry nicht erkennen, ob sie das wegen des Abschieds oder der Erkältung tat. Sie wohnte jetzt seit zwei Jahren hier und war, ihre L age berücksichtigend, gut zurechtg ekommen. Unmittelbar nach der Vergewaltigung und der Abtrei bung hatte H arry ein paar 33
Kleider und seine To ilettensachen eingepackt und war bei ihr eingezogen, doch schon nach ein paar Tagen hatte sie gesagt, dass es jetzt reiche. Dass sie jetzt ein großes Mädchen sei.
»Ich komme bald wieder, Søs.«
»Wann denn?«
»Papa ist so traurig, weil Mama gestorben ist, Søs.«
»Aber das ist so lange her.«
»Deshalb ist es an der Zeit, dass wir ihn wieder zum Sprechen bringen, Søs, und dab ei musst du m ir helfen. W illst du d as?
Willst du das tun, Søs?«
Sie drehte sich ohne ein W ort um, legte die Arme um seinen Hals und bohrte ihren Kopf in seine Halsgrube.
Er streichelte ihr über die Haare und spürte seinen Hem dkra-gen nass werden.
Der Koffer war fertig gepackt. Harry hatte Aune angerufen und ihm erzählt, dass er auf eine Dienstreise nach Bangkok m usste.
Er hatte dazu nicht viel zu sagen, und Harry wus ste nicht recht, warum er ihn angerufen hatte. Viel leicht weil es guttat,
Weitere Kostenlose Bücher