Nesbø, Jo - Harry Hole - 02
Verkehr in Bangkok …« Er breitete die Arm e aus und zeigte aufs Fenster hinter sich. »Es ist auf der Karte nicht weit, aber …«
»Ich weiß, was Sie m einen, Sir«, sagte Harry. »In der Botschaft haben sie mir das Gleiche gesagt.«
Sie blieben voreinander stehen, ohne noch etwas zu sagen. Der Polizeichef lächelte. Dann klopfte es an der Tür.
»Herein!«
Ein glattrasierter Kopf schob sich durch den Türspalt.
»Kommen Sie herein, Crumley. Der norwegische Detective ist hier.«
»Aha, der Detective.«
Der Kopf bekam einen Körper und Harry musste zweim al hinschauen, um sich zu vergewi ssern, dass er richtig gesehen hatte. Crumley war breitschultrig und fast so groß wie er, der haarlose Kopf hatte m arkante Kiefermuskeln und ein paar intensive blaue Augen über einem geraden, schmalen Mund. Die Bekleidung bestand aus einem hellblauen Uniformhemd, ein paar großen Joggingschuhen von Nike und einem Rock.
»Liz Crumley, Hauptkommissarin beim Morddezernat«, sagte der Polizeichef.
»Es heißt, Sie seien ein mordsmäßiger Ermittler, Harry«, sagte sie in breitestem Amerikanisch und baute sich vor ihm auf, die Hände in die Hüften gestützt.
»Na ja, ich weiß nicht, ob man das so sagen …«
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»Nicht? So ganz falsch kann es ja nicht sein, wenn m an Sie um den halben Erdball schickt, oder?«
»Mag sein.«
Harry schloss die Augen zur Hälf te. Was er jetzt am allerwe-nigsten brauchen konnte, war eine übereifrige Frau.
»Ich bin hier, um zu helfen. Wenn ich denn helfen kann.«
Er zwang sich zu lächeln.
»Dann ist es vielleicht an de r Zeit, nüchtern zu werden, Harry?«
Der Polizeichef lachte hinter seinem Rücken hoch und schrill.
»So sind sie«, sagte sie laut und deutlich, als wäre er nicht anwesend. »Sie tun, was sie können, dam it niemand das Gesicht verliert. Jetzt versucht er gerade, Ihr Gesicht zu retten, Harry.
Indem er so tut, als würde ich Witze machen. Aber ich mache keine Witze. Ich habe die Vera ntwortung für das Morddezernat, und wenn es etwas gibt, das m ir nicht passt, dann sage ich es.
Letzteres gilt hie rzulande als sc hlechte Eigenschaft, aber ich mache das seit zehn Jahren so.«
Harry schloss die Augen ganz.
»Aus Ihrem roten Gesicht schließe ich, dass S ie das peinlich finden, Harry, aber ich kann keine betrunken en Ermittler gebrauchen, das verstehen Sie sich er. Kommen Sie morgen wieder. Ich werde jem anden organisieren, der Sie zu dem Apartment fährt, in dem Sie wohnen können.«
Harry schüttelte den Kopf und räusperte sich: »Flugangst.«
»Was bitte?«
»Ich leide unter Flugangst. Gin Tonic hilft dagegen. Und mein Gesicht ist rot, weil das Zeug durch die Poren m einer Haut zu verdampfen beginnt.«
Liz Crumley sah ihn lange an. Dann kratzte sie sich den blan-ken Schädel.
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»Wie dumm für Sie, Detective. W ie sieht es m it dem Jetlag aus?«
»Hellwach.«
»Gut. Auf dem Weg zum Tatort können wir an Ihrer Wohnung vorbeifahren.«
Die Wohnung, die ihm die Botschaft besorgt hatte, lag in eine m modernen Apartmentkomplex gegenüber vom Shangri-La Hotel.
Sie war winzig und spartanisch au sgestattet, hatte aber ein Bad, einen Ventilator über dem Bett und eine Aussicht auf den Chao Praya-Fluss, der träge und bra un vorbeiströmte. Harry stellte sich ans Fenster. Lange, schm ale Holzboote fuhren kreuz und quer über den Fluss und peitschten m it ihren Motoren, die an langen Stangen m ontiert waren, das schm utzige Flusswasser schaumig. Auf der anderen Seite des Flusses reckten sich neu gebaute Hotels und Geschäftshäuser über einer unbestimmbaren weißen Häusermasse in die Höhe. Es war schwer, einen Eindruck von der Größe der Stadt zu bekommen, weil alles, was auch nur ein paar Straßenzüge entfernt war, in gelbb raunem Dunst versank, aber Harry nahm an, dass sie groß war. Sehr groß. Als er ein Fenster aufsc hob, schlug ihm der tosende Lärm entgegen. Seine Ohren hatten sich nach dem langen Flug erst im Fahrstuhl wieder geöffnet und n un erkannte er, wie laut es in dieser Stadt wirklich war. Der Straßenkreuzer von Crum ley stand weit dort unten wie ein Ma tchboxauto am Straßenrand. Er öffnete eine warme Dose Bier, die er aus dem Flugzeug mitgenommen hatte, und stellte zufrieden fest, dass »Singha« ebenso schlecht schmeckte wie norwegisches Bier. Der Rest des Tages erschien ihm jetzt schon viel erträglicher.
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KAPITEL 6
Die Hauptkommissarin legte sich auf die Hupe. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie presste ih re Brüste auf
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