Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
gewandt – seine Ungeduld nur schwerlich im Zaum haltend – begann er noch einmal, ganz langsam und ganz von vorn. »Schau! Jedes lebende Wesen reagiert in irgendeiner Weise auf seine Umwelt, manche stärker, manche weniger stark, die einen auf viele verschiedene Dinge, andere wiederum nur auf eine einzige Sache. Du bemerkst das Maus nicht, das an dir vorbeischleicht. Wenn ich jetzt das Raum verlasse, dann bin ich für dich weg, aber ein Wolf würde womöglich noch nach Tagen am Geruch erkennen, dass jemand hier gewesen ist – und er kann noch meine Fährte von vielen anderen unterscheiden. Alles, was wir tun, spielt eine Rolle in der Welt und bleibt für eine gewisse Zeit in ihrem ›Gedächtnis‹. Verschiedene Lebewesen können dies noch lange Zeit wahrnehmen, nur können sie sich nicht mehr ihrer erinnern. Wir Behmische aber können diese ›Erinnerungen‹ lesen. Wir sagen, wir ›sprechen mit den Lebenden Dingen‹, aber in Wirklichkeit sieht unser Geist diese Spuren, wie Bilder, die man uns vor Augen hält.« Und er fügte hinzu: »Und genau das ist es, was das Keim dir gezeigt hat: die Bilder meines Lebens und des Lebens aller meiner Ahnen.«
    Es entstand eine lange Pause. Yomi saß auf einem der kleinen Stühle im Raum. Seine Knie ragten fast senkrecht in die Luft und er verfolgte das Gespräch zwischen seinem Freund und ihrem Gastgeber, verstand aber nur wenig.
    Yonathan war sich der Tragweite dessen bewusst, was Din-Mikkith ihm erklärte. Nichts konnte sich bewegen, ohne wenigstens eine schwache Spur zu hinterlassen – und DinMikkith war in der Lage diese Spuren zu lesen. Er erinnerte sich an die Flut von Bildern, in die der Keim ihn für die Dauer weniger Momente getaucht hatte. Eines dieser Bilder hatte ihn veranlasst den Keim fallen zu lassen. »Es ist also alles geschehen, was ich gesehen habe?«, fragte er.
    Din-Mikkith ahnte, worauf Yonathan anspielte und antwortete niedergeschlagen: »Alles ist geschehen. Alles.«
    Yomi, an dem das Gespräch inzwischen völlig vorbeilief, rief aufgebracht: »Was ist geschehen? Würde mir vielleicht mal einer verraten, von was ihr redet? Ich verstehe kein Wort von alledem.«
    »Sie sind alle tot«, erklärte Yonathan bedrückt.
    »Wer ist tot? Wovon redet ihr überhaupt?«
    Din-Mikkith hatte ein Einsehen mit dem jungen Seemann. Während der Blick des Behmischs sich auf einen Gegenstand außerhalb der grünen, geflochtenen Zimmerwände zu richten schien und er den Keim wieder an seinem alten Platz verschwinden ließ, erinnerte er sich: »Es muss schon über zweihundert Jahre her sein. Damals zog Goel mit seinem kleinen Heer von siebenhundert Ostleuten durch das Drachengebirge. Goel benutzte nicht die bekannten Pässe, um Grantor keine Gelegenheit zu geben ihn in einen Hinterhalt zu locken. So kam es, dass Goel eines Tages die Hochebene erreichte, in der das kleine Volk der Behmische seit vielen Generationen lebte. Wir waren damals etwa dreitausend. Unser Hochland war voller heißer Quellen und hatte ein weit wärmeres Klima als die umliegenden Bergketten. Vor vielen Generationen hatten sich unsere Vorfahren hier niedergelassen, nachdem sie auf Rakk-Semilath das große Meer überquert hatten. Diese Gegend war unserer alten Heimat sehr ähnlich – ihr müsst wissen, wir Behmische lieben die Wärme.
    Goel bat uns um Hilfe. Obwohl unser Volk sehr zurückgezogen lebte, kannten wir ihn – die Lebenden Dinge hatten uns von ihm erzählt. Aber ich war das letzte Behmisch, das noch den Namen Yehwohs anrief und seine Richter respektierte. Leider sind die Behmische Fremden gegenüber nie sehr offen gewesen. Als Geschöpfe des Melech-Arez neigten sie eher dazu, nur sich selbst und ihre eigenen Angelegenheiten zu sehen. Sie hielten sich aus allem heraus, was ihren Frieden stören könnte.
    So kam es, dass sie Goels Bitte zurückwiesen. Schlimmer noch! Anstatt ihm und seinen Siebenhundert Gastfreundschaft zu gewähren, griff mein Volk sie an. Goels Männer mussten fliehen. Am Abend dieses Ereignisses kehrte ich von einem längeren Wanderung nach Hause zurück. Als ich von dem schändlichen Tun meines Volkes hörte, verfluchte ich ihr Handeln und machte mich sofort daran, Goel zu folgen. Ihr könnt euch vorstellen, dass es für ein Behmisch kein Problem ist, einem Heerverband von siebenhundert Kriegern zu folgen. Die Pflanzen und Vögel verrieten mir, was die Spuren von Goels Männern verschwiegen. So hatte ich sie bald eingeholt und bot dem sechsten Richter die Dienste eines

Weitere Kostenlose Bücher