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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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brüllte stattdessen: »Was ist denn los?«
    Alfred erschien und schlurfte mit kleinen Schritten in das Zimmer. Anstatt den Lord anzuschauen, blickte er in die Zimmerecke neben dem Schreibtisch und verkündete mit geschäftsmäßig ernster Miene: »Ein Besucher ist soeben eingetroffen, Mylord.«
    »Kann denn in diesem Haus nicht ein einziges Mal das gemacht werden, was ich bestimme!«, donnerte der Lord. »Sag dem Besucher, er soll warten, bis wir hier fertig sind.«
    Alfred, der seinen letzten Rausschmiss noch nicht ganz verwunden hatte, widersprach seelenruhig: »Ich denke, Mylord, das könnte sich für die weitere Entwicklung des gerade behandelten Falles als nicht eben förderlich erweisen.«
    »Was erzählst du da, Alfred?« Der Großvater klang schon deutlich ruhiger, dafür aber wesentlich neugieriger als zuvor.
    »Es ist Thomas Galloway, der Sohn von…«
    »Ich weiß selbst, dass er Theodors Sohn ist«, fiel Lord Jabbok dem Diener ins Wort. »Was will er denn?«
    »Das«, erklärte Alfred der Ecke, »müssen Euer Lordschaft den Jungen schon selber fragen. Gemäß den allgemeinen Gepflogenheiten steht es der Dienerschaft nicht an, sich in Angelegenheiten der Herrschaften…«
    »Schon gut, schon gut«, unterbrach der Lord abermals. »Also, schick ihn herein, Alfred, bitte.«
    »Sehr wohl, Mylord.«
    Alfred hatte sich bereits zum Gehen gewandt, als der Lord ihn nochmals anrief: »Und Alfred!«
    »Mylord?«
    »Lass den Knaben nicht durch die Vorhalle ein, in der die anderen warten. Schick ihn durch mein Herrenzimmer.«
    »Sehr wohl, Mylord.« Alfred steuerte bereits auf die Tür zu, als er ein drittes Mal von der kräftigen Stimme seines Herrn aufgehalten wurde.
    »Noch eins, Alfred!« Jonathans Großvater war aus dem Sessel aufgestanden.
    »Euer Lordschaft wünschen?«, wandte sich der Diener geduldig der Zimmerecke zu.
    »Ich würde es schätzen, wenn du mich anschaust, während ich mit dir spreche.«
    In seiner stets gleich bleibend distanziert-geschliffenen Art erwiderte Alfred: »Das werde ich bestimmt tun – sobald Euer Lordschaft wieder mit mir sprechen. Solange meine Ohren aber nur dieses unmanierliche Gebrüll vernehmen, muss ich sie unbedingt dadurch schützen, dass ich sie von der Quelle dieses Getöses abwende.«
    Da Lord Jabbok sprachlos in seinen Sessel zurückgesackt war, verließ Alfred nun endgültig den Raum.
    Thomas Galloway war ein eher schmächtiger Junge mit wirrem, aschblondem Haar. Vor dem Bauch hielt Thomas eine runde Mütze, während der Blick seiner traurigen, blauen Augen verlegen auf dem Teppich ruhte.
    »Nun, Thomas«, eröffnete Lord Jabbok mit behutsamer Stimme das Gespräch, »was wolltest du mir erzählen?«
    »Es… es geht um meinen Vater, Mylord.«
    »Das dachte ich mir. Weißt du etwas über die Schafe?«
    Der Junge nickte.
    »Weiß dein Vater, dass du hier bist?«
    Thomas blickte ängstlich in das Gesicht des alten Lords. Dann sprudelte er hervor: »Er darf davon nichts wissen, Mylord. Sicher würde er mich bestrafen. Bitte sagt ihm nicht, dass ich hier war!«
    »Offensichtlich muss es aber etwas sehr Wichtiges sein, das du mir zu sagen hast – sonst hättest du dich doch nicht der Gefahr ausgesetzt den Zorn deines Vaters auf dich zu laden, oder?«
    Thomas nickte abermals.
    »Komm, Junge«, sagte der Großvater mit sanfter Stimme, »lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Dein Vater ist da draußen und ich muss wissen, was ich mit ihm tun soll. Setze dich da auf den Stuhl und erzähle mir alles, was du weißt. Ich verspreche dir, dass ich gerecht mit deinem Vater verfahren werde.«
    Thomas nahm zaghaft auf dem Stuhl Platz, den der Lord ihm gewiesen hatte, räusperte sich und begann zu erzählen.
    »Es passierte vorgestern Abend. Meine kleine Schwester ist sehr krank. Seit Tagen hatte sie hohes Fieber und Mutter wusste schon nicht mehr, was sie tun sollte. Die Kräuterfrau war schon dreimal bei uns gewesen, aber alle Mittel, die sie für meine Schwester bereitet hatte, halfen nichts.«
    »Ich wusste gar nicht, dass es so schlimm um die kleine Jenny steht«, fiel Lord Jabbok dem Jungen ins Wort. »Warum habt ihr keinen Arzt gerufen?«
    »Ein Arzt ist sehr teuer und mein Vater hat nicht genügend Geld, um ihn zu bezahlen.«
    »Aber das ist doch Unsinn!«, ereiferte sich der Lord. »Warum hat dein Vater nicht mich gefragt? Ich hätte schon dafür gesorgt, dass deine Schwester einen Arzt bekommt.«
    Thomas blickte wieder zu Boden. »Mein Vater sagte, er wolle nicht um

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