Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
ist trotzdem gutmütig und würde nie einem Menschen etwas zuleide tun.« Mit einem unergründlichen Lächeln blickte der Lord den Schäfer Ronald McGuire an und fügte hinzu: »Es sei denn, der Mensch hätte ihm zuerst etwas angetan.«
Das hämische Grinsen erstarb auf Ronalds Lippen, als Lord Jabbok großmütig lächelnd fortfuhr: »So ein gutes Tier kann ich natürlich nicht missen. Deshalb wird mein neuer Oberhirte diesen besten meiner Hunde erhalten. Nicht war, Ronald? Du wolltest doch schon immer Theodors Stellung übernehmen.«
Der Angesprochene wand sich wie ein Regenwurm am Angelhaken. »Eure Güte ist zu groß, Mylord. Aber… das Amt… und… der Hund… das ist zu viel…«
»Doch, doch. Keine falsche Bescheidenheit, mein Guter.«
Während Theodor der Schmerz über den Verlust seiner Lebensgrundlage ins Gesicht geschrieben stand, schaute Ronald, als sei er vor die Wahl gestellt zwischen einer giftigen Schlange und einem Skorpion zu entscheiden.
Jonathan beobachtete, wie sein Großvater durch die Tür zum Herrenzimmer verschwand und kurz darauf unter beruhigendem Zureden Finny an einer Leine in die Bibliothek führte. Finny war ein mittelgroßer, kräftig gebauter Hund mit zotteligem schwarz-weiß-braunem Fell. Die lange Schnauze und die wachen, braungrünen Augen verliehen dem Tier einen intelligenten Ausdruck.
Der Hund nahm zuerst den eigenen Herrn wahr. Doch bevor er ihn begrüßen konnte, bemerkte er die Person, die neben Theodor stand: Ronald McGuire. Im Nu verwandelte sich das freundliche Tier in eine Bestie. Die Nackenhaare stellten sich auf und mit bösem Knurren fletschte er seine messerscharfen Zähne.
Ronald McGuire wich erschrocken zurück. »Mylord…!«, rief er entsetzt. Weiter kam er nicht, denn Finnys Knurren hatte sich in ein wildes Gebell verwandelt.
Lord Jabbok hatte alle Mühe den aufgebrachten Hund davon abzuhalten, Ronald an die Kehle zu springen. Schließlich brüllte er Theodor Galloway zu: »Theo, kannst du das Tier vielleicht einen Augenblick zur Ruhe bringen?«
Theodor nickte, ließ sich auf ein Knie nieder und sprach beruhigend auf den Hund ein. Nach kurzer Zeit legte sich die Erregung Finnys ein wenig und er beschränkte sich darauf, Ronald mit gefletschtem Gebiss anzuknurren.
»Ich verstehe gar nicht, was der Hund hat«, entschuldigte sich Lord Jabbok bei Ronald scheinheilig. »Oder kann es sein, dass er eine unangenehme Erinnerung mit dir verbindet? Gibt es vielleicht etwas, das ich wissen sollte?«
»Nein, nein, bestimmt nicht, Mylord!«, beteuerte der Hirte. Angstschweiß stand ihm auf der Stirn. »Ich kann mir das gar nicht erklären.«
»So?« Der Lord zuckte mit den Achseln und erklärte gleichmütig: »Na, dann ist es bestimmt nur eine vorübergehende Laune des Hundes. So was soll ja vorkommen. Ihr beide werdet euch schon aneinander gewöhnen.« In energischem Befehlston fügte er hinzu: »Theodor, gib ihm den Hund.«
Der Oberhirte erhob sich und trat einen Schritt zurück. Sogleich stürmte Finny wieder auf Ronald McGuire los. Das starke Halsband bewahrte den Hirten davor, in Fetzen gerissen zu werden.
»Lasst ihn nicht los!«, gellte der Entsetzensschrei des Angegriffenen, der sich mit dem Rücken an ein Regal drückte, so, als wolle er sich zwischen den Büchern verstecken.
»Nur, wenn du mir verrätst, was den Hund so gegen dich aufgebracht hat.«
»Nichts, da ist wirklich nichts!«
»Also gut. Dann ist das, was der Hund hier aufführt, wohl nur die Freude über seinen neuen Herren. Er soll ihn jetzt bekommen.« Lord Jabbok lockerte für einen Sekundenbruchteil den Griff, Finny stürzte sich auf Ronald und hätte ihn fast ins Gesicht gebissen.
Diesem entfuhr ein Angstschrei. Blankes Entsetzen lag auf seinem Gesicht.
»Ich verspreche Euch alles zu erzählen, Mylord«, winselte er, als Theodor den Hund wieder beruhigt hatte. »Aber nehmt diese Bestie weg, bitte nehmt sie weg.«
Der Lord willigte ein. Er zog Finny mit Mühe aus dem Raum. Als er aus dem Herrenzimmer in die Bibliothek zurückkehrte, war seine Miene unerbittlich. »Also raus damit, Ronald. Was wolltest du uns erzählen?«
Ronald McGuire war nun sehr gesprächig. Jonathan und dieÜbrigen hörten die Wahrheit über die nächtlichen Geschehnisse, die sich zwei Tage zuvor zugetragen hatten.
Ronald hatte seine eigene Herde in der Hürde untergebracht und war zusammen mit seinem Hirtenhund auf dem Weg nach Hause. Als er Thomas, den Sohn Theodors, aufgeregt den Weg entlanglaufen sah,
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