Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
vor vier Tagen, nicht wahr?«
Yomi schaute weg.
Yonathan schüttelte den Kopf. »Den Baramoth werde ich so schnell nicht vergessen.«
»Als ich aus dem Weiher auftauchte und ans Ufer flüchtete, bemerkte ich aus den Augenwinkeln einen dunklen Schatten am Himmel – nur ganz kurz, aber lange genug, um in meinem Kopf etwas auszulösen.«
»Dieses Gefühl, das ich gespürt habe?«, fragte Yonathan.
»Ja. Ich wusste nicht, warum mich dieser Schatten beunruhigte. Aber ich ahnte, dass er uns gefährlich werden könnte. Deshalb war ich anschließend noch vorsichtiger als zuvor.«
»Warum glaubst du, dieser Schatten könnte eine Gefahr für uns darstellen? Sicher war es doch nur ein Vogel.« In dem Moment, in dem Yonathan seine eigenen Worte hörte, stieg eine düstere Ahnung in ihm auf.
»Zirah!«, rief Yomi aus.
»Das ist das Name, das ihr dem Wesen gegeben habt«, bestätigte Din-Mikkith.
»Dann ist er also nicht mit den anderen im Grünen Nebel umgekommen«, stellte Yonathan in düsterer Vorahnung fest.
»Oder wenigstens verrückt geworden«, bedauerte Yomi.
»Das muss aber nicht bedeuten, dass auch Sethur und seine Leute überlebt haben oder noch genügend Verstand besitzen, um sich an unsere Fersen zu heften.«
»Muss nicht – kann aber.«
»Das Möglichkeit ist nicht auszuschließen. Deshalb bin ich so vorsichtig gewesen und habe mich immer bemüht einen Pfad für uns zu finden, der aus dem Luft nicht einzusehen ist. Das ist auch das Grund, warum ich in den letzten Tagen mit unserem Feuer so sparsam war.«
»Und was bedeutet das alles für uns?«, fragte Yomi, der noch nicht ganz schlau aus der Situation wurde.
Yonathan antwortete: »Dass wir keinen Umweg gehen können, dass wir so schnell wie möglich an dem Glühenden Berg vorbeiziehen müssen, um das Tor im Südkamm zu erreichen, und dass wir uns bei aller Eile weder von Sethur entdecken lassen noch uns von dem Berg oder dem Wächter anschmoren lassen dürfen.«
Yomi schlug den Handballen vor die Stirn und schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ist das nicht unheimlich viel verlangt?«
Beim Frühstück am nächsten Morgen war die Stimmung gedrückt. Keiner wollte sich länger als nötig an diesem Ortaufhalten. Der Regen tat ein Übriges. Das vor ihnen liegende Tal war mit Nebelschwaden verhangen und man konnte in der Dämmerung kaum einen Steinwurf weit blicken. Bald warendie drei Wanderer trotz ihrer Überwürfe nass bis auf die Haut. Die platschenden und schmatzenden Geräusche, die die Schritte ihrer Füße auf dem durchtränkten Waldboden verursachten, schienen – abgesehen vom Regen – die einzigen Laute in diesem Teil des Waldes zu sein.
Din-Mikkith nahm sich weniger Zeit als gewöhnlich für seine stillen Zwiegespräche mit Bäumen und Sträuchern. Ständig drängte er Yonathan und Yomi zur Eile. »Bald wird es losgehen«, warnte er immer wieder vor dem Glühenden Berg.
Die kleine Gruppe folgte dem sanft ansteigenden Verlauf des Tales in Richtung Süden. Die Baumriesen machten Platz für kleinere Verwandte; Nadelgehölze breiteten sich aus. Um die Mittagszeit rückten die beiden Hügelketten, zwischen denen sie sich bewegten, weiter auseinander und im Westen zeichneten sich die Umrisse des Glühenden Berges ab. Schwefelgeruch lag in der Luft. Hier und da erlaubte das dichte Astwerk einen kurzen und unvollständigen Blick auf die dunkle Silhouette des Vulkans. Die Hänge des Berges waren im Norden und im Osten mit flachem Gestrüpp bewachsen. Nach Süden hin zeigte sich eine breite Schneise schwarzbraunen Gesteins, das kein pflanzliches Leben zu dulden schien.
»Dort sabbert er hin und wieder ein wenig, so, als wolle er die Pflanzen warnen ihm zu nahe zu kommen«, erklärte Din-Mikkith. »Aber das ist nicht weiter schlimm. Die Tiere wissen das und halten sich in gebührendem Abstand.« Er ließ seine dunkelgrünen Augen in die Runde schweifen und fuhr fort: »Jetzt haben sie sich allerdings sehr weit zurückgezogen. Das gefällt mir nicht. Ebenso wenig das Rot des Glühens; es ist irgendwie anders als sonst.«
»Gehen wir weiter?«, fragte Yonathan, der nicht länger warten wollte. Das karminrote Glühen des Berges erfüllte ihn mit seltsamer Unruhe. Es übte eine Anziehungskraft aus, sodass man den Blick kaum abwenden konnte, gleichzeitig aber lockte dieses Licht eine unterschwellige Furcht hervor, kalte Beklommenheit, die aus dem Unterbewusstsein aufstieg wie der Bodennebel an einem kalten Herbstmorgen.
»Ich wünschte, ich könnte da
Weitere Kostenlose Bücher