Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
diese erhellte. Die drei Gefährten erstarrten und lauschten angestrengt.
Wenige Augenblicke später begann die Erde abermals zu beben. Doch diesmal war es anders als zuvor. Yonathan, Yomi und Din-Mikkith verloren das Gleichgewicht. Der Boden unter ihren Füßen glich einem sich aufbäumenden Pferd, das noch nie das Gewicht eines Reiters gespürt hatte. Mit unbeschreiblicher Heftigkeit und ohrenbetäubendem Getöse fegte fast zur gleichen Zeit ein Luftschwall in die Höhle. Die Freunde hatten dem nichts entgegenzusetzen. Wie Herbstblätter in einem Wildbach wurden sie in das Innere des lang gezogenen Felsenraumes geschleudert. Erst eine Steinwand bereitete ihrer Rutschpartie ein Ende. Yonathan spürte einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf und sein Bewusstsein schwand.
Als Yonathan wieder zur Besinnung kam, lag er noch immer auf dem Höhlenboden. Er spürte eine zusammengerollte Decke unter seinem Nacken. Seine Rechte umklammerte Haschevet, als wäre der Stab ein Teil seiner selbst, eine Verlängerung seines Armes. Als er die Augen aufschlug, sah er als Erstes Gurgi, die sein Erwachen bemerkte und jetzt aufgeregt fiepend auf seiner Brust umherhüpfte.
Yonathans Augen folgten dem Masch-Masch, wodurch sein Blick das matte Licht einfing, das sich in das Dunkel des Felsenraumes vortastete. In den schwachen Lichtstrahlen schwebten Staub und Asche. Yonathan hustete.
»Er ist wach!«, ertönte Yomis Stimme in freudigerÜberraschung.
Im nächsten Augenblick erschien das jungenhafte Grinsen des blonden Seemannes in Yonathans Gesichtsfeld. Yonathan konnte auf Yomis Gesicht den Verlauf ihrer bisherigen Reise wie auf einer Landkarte ablesen: Dunkle Augenringe zeigten die überstandenen Anstrengungen; das Andenken an den Baum Zephon trug er in seiner braun gefärbten linken Gesichtshälfte und auf seiner Stirn prangte eine breite blutverkrustete Schramme. »Dir ist es wohl auch nicht viel besser ergangen als mir«, stellte Yonathan fest. Bei dem Versuch zu lächeln, fuhr ihm ein stechender Schmerz quer durch den Kopf.
»Ach, das macht nichts. Hauptsache du bist wieder in Ordnung.«
»Wo ist Din? Hat er etwas abbekommen?«
»Bis auf ein paar grüne Flecken geht es mir prächtig, Kleines«, antwortete der Behmisch.
Yonathan drehte den Kopf in die Richtung Din-Mikkiths, der mit dem Reisegepäck herumhantierte.
»Es scheint nichts Wichtiges verloren oder zerstört worden zu sein.« Der Behmisch erhob sich in einer fließenden Bewegung und wandte sich seinem Patienten zu.
Yonathan setzte sich mit schmerzverzerrter Miene auf. Einen Moment lang drehte sich alles um ihn herum. »Hat das alles der Glühende Berg angerichtet?«
Din-Mikkith nickte, indem er seinen Kopf vor-und zurückwippen ließ.
»Dass er gleich so übel gelaunt sein wird, hätte ich nicht gedacht!«
»Die Höhle hat uns vor dem Schlimmsten bewahrt.«
»Nicht nur die Höhle, Din. Vor allem war es deine Umsicht. Hätten wir die letzte Nacht in dem hohlen Baum verbracht oder wären wir an dieser Höhle vorbeigegangen, dann…« Yonathan ersparte es sich und seinen Gefährten, die möglichen Folgen weiter auszumalen.
»Das Ganze hat nur ein Nachteil«, gab Din-Mikkith zu bedenken.
»Wir werden so ziemlich den ganzen Weg bei Nacht weiterwandern dürfen«, klagte Yomi und warf die Hände in die Höhe. »Du solltest mal sehen, wie’s draußen aussieht. Ziemlich schlimm, sag ich dir! Wie auf einem Maisfeld, das von einer Springflut überschwemmt wurde.«
Noch ehe seine Freunde ihn abhalten konnten, stand Yonathan auf seinen Beinen. Zweimal schwankte er hin und her, während ein heftiger Schmerz in seinem Kopf wühlte. Dann taumelte er zum Höhleneingang. Das Bild, das sich ihm draußen bot, schien aus einem Alptraum zu stammen. Für einen Augenblick war Yonathan unfähig sich zu bewegen oder etwas zu sagen. Wie eine Marmorstatue stand er da und staunte über die unfassbaren Gewalten, die in der Lage waren eine solche Zerstörung anzurichten. So weit man schauen konnte, waren die Bäume weggeknickt – alle in die vom Glühenden Berg abgewandte Richtung. Über der Landschaft lag eine dichte Decke aus grauschwarzer Asche, in der Farbe der drohenden Gewitterwolken am Himmel. Die einzige Bewegung, die Yonathan wahrnehmen konnte, rührte von dunklen Qualmwolken her, die einem weit entfernten Feuer entstiegen, dessen Flammen nicht auszumachen waren.
»So etwas hast du noch nie gesehen, nicht wahr?« Din-Mikkiths Stimme drang wie durch einen Wattebausch an sein
Weitere Kostenlose Bücher