Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
eingesetzt. »Was ist denn?«, fragte Yonathan verschlafen. »Müssen wir schon los?«
»Din meint, wir sollten uns langsam fertig machen. Wie geht’s dir? Du hast geschlafen wie eine Riesenschildkröte.«
Yonathan setzte sich auf. »Danke, schon viel besser.« Er reckte den Hals und ließ den Kopf auf den Schultern einmal rundherum rollen. Zwar empfand er noch immer ein leichtes Stechen hinter der Stirn, aber er fühlte sich tatsächlich schon wesentlich wohler als am Morgen.
Nach einer kalten Mahlzeit schulterten die Gefährten ihr Reisegepäck und traten vor die Höhle. Draußen hatte inzwischen die Nacht die Regentschaft übernommen. Yonathan ließ die Macht des Stabes in seinen Körper fließen und vor seinem geistigen Auge bildeten sich die Konturen des verwüsteten Waldes. Din-Mikkith übernahm wieder die Führung. Durch ein Seil war er mit Yomi und mit Yonathan verbunden, sodass die drei sich in der Dunkelheit nicht verlieren konnten.
»Zumindest schlagen einem jetzt keine Äste mehr ins Gesicht«, meinte Yomi trocken.
Der Himmel hellte sich allmählich auf, als Din-Mikkith endlich eine Rast bewilligte. Yonathan und Yomi ließen sich zu Boden sinken. Ihr Lagerplatz befand sich in einer Bodensenke, die von einem flachen, aber dichten Gestrüpp überwuchert war. Sie fühlten sich völlig ausgelaugt, denn sie hatten sich nur wenige kurze Pausen gegönnt, während ihr beschwerlicher Weg sie stetig höher in die Bergwelt führte. Der Pfad, dem sie gefolgt waren, schlängelte sich zwischen zwei schroffen Bergkämmen empor. Im schwachen Licht der Morgendämmerung konnte Yonathan zu ihren Füßen einen weiten Talkessel wahrnehmen, der wie mit einem fahlweißen Teppich ausgelegt war.
»Da unten ist das Weiße Tod«, stellte Din-Mikkith fest.
Yonathan und Yomi konnten seinen Gleichmut nicht teilen.
»Wie konnte es dazu kommen?«, fragte Yomi mit zitternder Stimme. »Ich meine, wie ist der See… gestorben?«
Din-Mikkith kicherte. »Gestorben? Das ist ein gutes Wort. Es trug sich zu, als Yehwoh das Verborgene Land verschloss. Allen Bewohnern wurde geheißen es zu verlassen.
Nachdem Richter Yenoach Zephon mit dem Feuer Haschevets verdorrt hatte, sah es so aus, als wäre die Gefahr für immer gebannt. Doch es gab eine Stadt, in die sich einige Priester des verfluchten Baumes geflüchtet hatten. Es war ihnen gelungen einige Samenkörner Zephons zu retten. Damit wollten sie neue Bäume pflanzen. Yenoach forderte die Bewohner auf, die Priester herauszuschicken, um so dem Zorn Yehwohs zu entgehen. Doch die Priester hatten noch immer Einfluss und es gelang ihnen den Bewohnern Furcht vor Melech-Arez’ Rache einzujagen. So kam es, dass sie weder die Priester noch die Samenkapseln Zephons herausgaben.« Din-Mikkith hielt inne und schaute nachdenklich zu dem weißen See hinüber.
Yonathan war gefesselt von der Erzählung und konnte kaum ruhig sitzen bleiben. »Diesen Teil der Geschichte kenne ich nicht«, sagte er aufgeregt. »Was tat Yenoach, nachdem sich die Einwohner der Stadt weigerten seiner Aufforderung nachzukommen?«
»Yenoach stellte sich vor das große Haupttor, den Stab Haschevet drohend erhoben rief er einen Fluch wider die ganze Stadt aus. Die Berge ringsum warfen seine Worte vielfach verstärkt zurück, sodass sie jeder Bewohner innerhalb der Stadtmauern verstehen konnte. ›Dein Name sei nicht länger Ha-Gibbor, das Starke‹, donnerte seine Stimme in übernatürlichem Hall. ›Fortan wirst du Ha-Cherem, das Verfluchte sein, und man wird sich fürchten deinen Namen auszusprechen – bis Geschan kommt und deinen Aussatz heilen wird.‹« Din-Mikkith wandte den Kopf von dem See ab und blickte fest in Yonathans Gesicht. Ein seltsames Funkeln lag in den grünen Augen des Behmischs.
Yonathan wurde sich dieses Blicks erst später wieder bewusst. Im Moment beschäftigte ihn das Schicksal Ha-Gibbors, der Starken, wie sie früher genannt wurde, viel mehr. »Aber was geschah dann wirklich, Din? Was ist dieser Aussatz?«
Die eigenartige Entrückung wich aus den Augen Din-Mikkiths. Er zuckte die Schultern und sagte: »Salz.«
»Salz?«
»Salz! Nachdem Yenoachs schreckliche Worte verklungen waren, wandte er der Stadt den Rücken und verließ das Verborgene Land, um nie mehr dorthin zurückzukehren. Die Priester Zephons aber glaubten an eine Falle und nötigten die Bewohner Ha-Gibbors dazu, noch eine Nacht abzuwarten. In diesem Nacht aber kam Yehwohs ›Aussatz‹ über sie. Ihr müsst wissen, dass Ha-Gibbor
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