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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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der Zeit stammten, als er die Länder Neschans bereist hatte. Er sprach zwar nur selten über diese Jahre, aber wahrscheinlich hatte er damals eng mit den Charosim zusammengearbeitet, dem ausgewählten Kreis der Boten Goels. Wie sonst hätte er so viel über Goel und den Stab Haschevet wissen können, mehr als sonst jemand, den Yonathan kannte?
    Navran schloss die Truhe und legte einige Gegenstände auf den Tisch. »So, dann wollen wir mal sehen, was wir hier für dich haben.«
    Als Erstes zeigte er Yonathan eine lange, schmale Tasche aus Walfischhaut. »Du weißt, dass du unterwegs auf nichts mehr Acht geben musst als auf den Stab; man kann nie wissen, wo Bar-Hazzat überall seine Spione hat. In diesem Köcher habe ich immer meine Harpune aufbewahrt. Er lässt sich bequem auf dem Rücken tragen. Der Stab wird gut hineinpassen und so vor den Blicken Neugieriger geschützt sein.«
    Yonathan warf einen Blick auf den Stab. »Irgendwie fühle ich mich unsicher, jetzt, da ich weiß, was Haschevet alles anrichten kann.«
    »Mach dir nicht zu große Sorgen darüber«, beruhigte ihn Navran. »Yehwoh hat mit dem Stab kein Werkzeug der Vernichtung geschaffen. Niemand kann genau sagen, über welche Kräfte der Stab wirklich verfügt. Es gibt viele Legenden darüber, aber ich habe im Laufe der Zeit meine eigene Theorie entwickelt.«
    »Und die wäre?«
    »Nun, es sind nur Vermutungen, aber wie es aussieht, ist der Stab eine Art Verstärker für die natürlichen Gaben, die jeder von uns besitzt; zum Beispiel die Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten.«
    Yonathan dachte an sein gesteigertes Sehvermögen in der Dunkelheit, wenn er den Stab in den Händen hielt.
    »Vielleicht besitzen wir außer diesen fünfen noch weitere Sinne«, fuhr Navran fort. »Sie sind möglicherweise so schwach ausgebildet, dass wir sie allenfalls erahnen können. In den Geschichten über die Richter finden sich jedenfalls interessante Hinweise.«
    Hatte Yonathan nicht gestern Navrans Gefühle wahrnehmen können? Seine Andeutungen hatten ihn neugierig gemacht. »Was ist nun mit diesen Kräften, die der Stab hervorholen kann?«
    »Also gut«, sagte Navran nach kurzem Zögern, »hör mir zu.« Er zog einen Stuhl heran und setzte sich zu Yonathan an den Tisch. »Als Erstes ist da das Koach. Dieses Wort stammt aus der Sprache der Schöpfung und bedeutet ›Macht‹. Trotzdem ist es nicht das Gleiche wie die Macht, die Könige oder hohe Amtspersonen besitzen. Das Koach umfasst sechs besondere Fähigkeiten. Die erste ist das Gefühl. Wir alle ahnen unbewusst die guten oder schlechten Absichten eines Menschen und lassen uns von diesem Gefühl leiten. Das Gefühl nun versetzt den Träger des Stabes in die Lage die Gedanken und Absichten anderer Lebewesen deutlich zu erkennen.«
    Yonathan verstand sehr wohl, was Navran meinte. »Kann man mit dem Gefühl auch Gedanken lesen?«
    »Es handelt es sich nicht um richtiges Gedankenlesen. Aber man kann Zuneigung und Ablehnung, Freude und Traurigkeit, Lüge und Wahrheit bei anderen erkennen.«
    Yonathan nickte.
    »Die nächste Fähigkeit des Koach ist die Projektion. Diese Kraft ermöglicht es dem Träger Haschevets, eigene Gedanken, Vorstellungen, Gefühle oder auch Sinneseindrücke auf andere Personen zu übertragen – und zwar so, dass diese glauben, es wären ihre eigenen Empfindungen.
    Die dritte Gabe ist der Wandernde Sinn. Die Richter konnten offenbar ihre fünf Sinne vom Körper trennen. Dadurch war es ihnen möglich hinter Wände zu schauen oder Worte zu hören, die an einem entfernten Ort gesprochen wurden.«
    »Das ist praktisch!«, meinte Yonathan begeistert.
    »Das Koach ist kein Spielzeug!«, warnte Navran. »Yehwoh lässt seine Macht nicht ungestraft missbrauchen.«
    Yonathan schluckte. »Und was kann der Stab noch? Du hast von sechs Fähigkeiten gesprochen.«
    Navran fasste zusammen, was er noch über den Stab wusste. Da gab es die Kraft der Bewegung, mit ihr konnte der Stabträger Gegenstände oder Personen bewegen, ohne sie mit den Händen zu berühren. Die Kraft der Heilung konnte Kranke gesund machen, ja, im Sepher Schophetim wurde sogar davon berichtet, dass der Richter Yehpas einst einen Mann von den Toten auferweckt hatte. Und dann gab es noch die Erinnerung, die Fähigkeit sich an alles zu erinnern, was man je gesehen, gehört oder sonstwie wahrgenommen hat.
    Als Navran das Glänzen in Yonathans Augen bemerkte, fügte er warnend hinzu: »Unterschätze die Erinnerung nicht, Yonathan. Sie

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