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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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prasseln wie ein Sommerregen.
    Ohne sich dessen recht bewusst zu sein, saß Yonathan auf der Kante seines Bettes. Er reckte sich und rieb sich die Augen. Ein Blick hinaus zerstreute die letzten Zweifel – von Regen keine Spur. Allerdings hatte der Wind aufgefrischt. Der Morgenhimmel zeigte eine Farbskala von Gelborange bis Violettblau; kleine, schnell ziehende Wolken zeichneten scharfkonturige, dunkelgraue Tupfen darauf. Das war das richtige Wetter, um in einem Segelschiff über die Wellen des Meeres dahinzufliegen und sich die Brise um die Nase wehen zu lassen.
    Plötzlich blitzte eine Erinnerung auf und riss Yonathan aus seinem Schwebezustand zwischen Traum und Wachsein. Letzte Nacht, vor dem Einschlafen, war da nicht…? Er zauderte. War es wirklich vor dem Einschlafen gewesen? Oder hatte er nur geträumt, war in den Schlaf gesunken, ohne es recht zu merken? Ja, so musste es gewesen sein. Die Ereignisse der vergangenen Tage, die Enthüllungen Navrans über den Stab Haschevet, die in wenigen Wochen bevorstehende lange Reise: All das hatte seine Phantasie wohl allzu sehr beflügelt und ihr im Traum vom Boten Yehwohs Gestalt verliehen. Heute sollte er aufbrechen, hatte Benel gesagt, das Schiff stünde bereit. Auf keinen Fall solle er den Stab vergessen! Yonathan zog Haschevet hinter dem Bett hervor. Nein, den Stab würde er nicht vergessen. Aber bis zur Abreise blieb ihm noch eine Frist von drei Wochen. Jetzt wollte er erst einmal frühstücken und sehen, was der Tag ihm brächte.
    Yonathan verschlang seine Mahlzeit mit Heißhunger. Navran hatte seinem heimgekehrten Zögling an diesem Morgen ein besonders üppiges Frühstück zubereitet.
    »Weißt du«, begann Yonathan mit vollem Mund, »heute Nacht hatte ich einen komischen Traum. Das heißt, eigentlich war der Traum so, als wäre es keiner.« Wie konnte er das seltsame Erlebnis am besten in Worte fassen? »Was ich meine, ist, dass das, was ich für einen Traum halte, mich so überkam, als hätte ich noch gar nicht geschlafen.«
    »Ich glaube, ich verstehe ganz gut, was du meinst, Yonathan«, meinte Navran. »Was hast du denn geträumt?«
    Yonathan berichtete ihm von dem eigenartigen Besucher und davon, dass Navran während des ganzen Gesprächs mit Benel nicht aufgewacht war, was Yonathan für ein sicheres Zeichen hielt, dass es sich um einen Traum handeln musste. Er erzählte von der Warnung Benels und von seiner Aufforderung zum sofortigen Aufbruch.
    Der Name des Besuchers zeigte Wirkung, nur ein unmerkliches Heben der rechten Augenbraue, aber Yonathan entging dieses Signal ebenso wenig wie am Abend zuvor.
    »Kennst du diesen Namen?«
    »Benel?« Navran zögerte. »Kennst du die Bedeutung dieses Namens?«
    »Ich habe bis jetzt noch nicht darüber nachgedacht. Aber er muss wohl so viel wie ›Sohn Gottes‹ bedeuten.« Yonathan zögerte. »Willst du damit etwa sagen…?« Er verstummte.
    »Es sieht ganz so aus«, bestätigte Navran Yonathans Vermutung. »Du erinnerst dich sicher daran, dass ich dir gestern von einem Boten erzählte, der zu Goel kam, um ihm Yehwohs Urteil mitzuteilen? Nun, dieser Bote nannte sich ebenfalls Benel.«
    »Du meinst, es könnte derselbe Benel sein, der mir erschienen ist?« Yonathan flüsterte fast, als fürchte er versteckte Zuhörer.
    »Das meine ich. Wenn du nur geträumt hättest, wie kämst du gerade auf einen Namen, den du vorher noch nie gehört hast?«
    »Das würde bedeuten, dass alles wahr ist, was Benel gesagt hatte«, murmelte Yonathan vor sich hin.
    Ehe Navran etwas erwidern konnte, klopfte es laut und vernehmlich an der Tür.
    Yonathan sah seinen Pflegevater an, der ihn mit einem Kopfnicken aufforderte die Tür zu öffnen.
    Draußen stand ein kleiner, kräftiger Mann, seiner Kleidung nach ein Seemann.
    »Aller Friede Neschans sei mit Euch, junger Mann«, grüßte der Fremde in der auf Neschan üblichen Weise.
    »Aller Friede«, gab Yonathan kurz angebunden zurück. Misstrauisch musterte er den Besucher von Kopf bis Fuß.
    »Mein Name ist Hardor. Ich komme von der Weltwind, im Auftrag von Kapitän Kaldek, um Euch eine Botschaft zu überbringen. Darf ich eintreten?«
    »Aber natürlich«, gab Navran zurück, der inzwischen hinter Yonathan getreten war und nun die Tür weit aufzog, um den Fremden einzulassen. »Kommt nur herein.«
    Als der Gast am Tisch Platz genommen hatte, fragte Navran ihn nach dem Zweck seines Kommens.
    »Wie ich schon sagte, Kapitän Kaldek schickt mich«, antwortete der Besucher. »Seine Anweisung an

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