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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Markttag.«
    Navran nahm Yonathan die Flasche aus der Hand, öffnete sie und füllte sie mit Milch. »Einen Beutel zu haben, mit dem man nie mehr hungern muss, ist zwar eine feine Sache«, erklärte er, »aber schlimmer als der Hunger ist der Durst.«
    Yonathan nickte. »Und dagegen hilft die Flasche, stimmt’s?«
    »Genau! Wie den Beutel darfst du sie nur gebrauchen, wenn Not am Manne ist. Jetzt wird sie immer frische, nahrhafte Milch bereithalten.«
    Yonathan nahm die Flasche dankend. »Und was kommt jetzt?«, fragte er aufgeregt.
    »Tu nicht so scheinheilig, Yonathan. Mir ist schon klar, dass einem Jungen wie dir das hier am besten gefallen wird. Nimm ihn.«
    Geradezu ehrfürchtig griff Yonathan nach dem prachtvollen Dolch, den Navran ihm reichte. Staunend untersuchte er das kostbare Stück. Ein solches Kunstwerk schuf wohl selbst ein Meister der Schmiedekunst nur ein einziges Mal in seinem Leben!
    Der Dolch war, wenn man ihn aus seiner ledernen Scheide zog, etwas mehr als eine Spanne lang. Die Klinge bestand aus einem fremdartigen, glänzenden Stahl, sie war etwa um die Hälfte länger als der Griff. Beide Seiten der Schneide liefen in einem weichen Bogen nach vorne hin symmetrisch zu und bildeten dort eine nadelfeine Spitze. Die eine Seite der Klinge war außergewöhnlich scharf, zur anderen Kante hin wurde sie dick und stumpf. Der Griff des Dolches stellte ein Kunstwerk für sich dar. Der Knauf in Form eines Löwenkopfes bestand aus Jade und war sehr naturgetreu gefertigt – man hätte glauben können, die feinen Haare der Mähne würden sich im Luftzug bewegen. Die Augen des Löwen waren goldgelbe Topase. Am Hals des Tieres ging der dunkelgrüne Grund in ein Blumenmuster über, das sich abwechselte mit den schon bekannten Figuren Mensch, Adler, Löwe und Stier. Immer wieder waren kleine Rubine, Saphire und Smaragde eingelegt, besonders am oberen und unteren Ende des verzierten Griffteiles, wo sie ein umlaufendes Band von roten, blauen und grünen Steinchen bildeten. Dicht bei der Klinge waren zwei goldene Schriftzeichen eingraviert. Yonathan erkannte die Buchstaben der alten neschanischen Schrift.
    »Ist das nicht der Name Goels? Die gleichen Zeichen habe ich auch auf dem Stab Haschevet gesehen.«
    Navran nickte. »Der Dolch wurde eigens für Goel angefertigt. Ich vermute, man könnte einiges über seine Herkunft erfahren, wenn man wüsste, wo solche einzigartigen Waffen geschmiedet werden.«
    »Und welche besondere Eigenschaft hat dieser Dolch? Wird er nie stumpf?«, fragte Yonathan.
    »Ja, so könnte man sagen. Aber es ist mehr als das: Er kann auch Dinge schneiden, die ein gewöhnliches Messer nicht einmal ritzen würde. Versuche es selbst einmal.«
    Navran nahm vom Regal an der Wand einen Wetzstein, der gewöhnlich zum Schärfen von Messern benutzt wurde, und hielt ihn Yonathan entgegen. »Hier, schneid ihn durch«, sagte er mit einem aufmunterndem Kopfnicken.
    »Du meinst, ich soll…?« Yonathan war sich nicht ganz sicher, ob Navran Spaß machte.
    »Ihn durchschneiden, ja. Aber du musst es wollen. Konzentriere deinen Sinn nur auf dieses eine!«
    Yonathan nahm das Messer fest in die rechte Hand, legte es quer über den Wetzstein und begann es langsam darüber hinwegzuziehen. Er war sich noch immer nicht sicher, was das Ganze sollte – einen Stein mit einem Dolch schneiden, dieser Gedanke erschien ihm absurd.
    Und er hatte Recht: Der Stein wies nicht einmal einen Kratzer.
    »Du musst es wirklich wollen!«, sagte Navran. »Versuche es noch einmal!«
    Yonathan setzte das Messer ein zweites Mal an. Vielleicht dachte er immer viel zu sehr an das, was er kannte, was er sich vorstellen konnte. Warum sollte nicht auch der Dolch von der gleichen Macht wie der Stab Haschevet erfüllt sein? Sicher war er das. Navran würde die wenige verbleibende Zeit mit ihm kaum damit verschwenden, unsinnige Scherze zu treiben. Yonathan war plötzlich davon überzeugt, dass es nur an ihm lag. Er musste es wollen und musste fest daran glauben, dann würde es auch geschehen.
    Er konzentrierte sich nochmals fest auf Dolch und Stein, dann zog er die Klinge langsam über das harte Mineral. Mit einem leisen Knirschen fraß sich die Schneide in den Wetzstein, anfangs nur mühsam, doch von dem Wunder ermutigt, wuchs Yonathans Vertrauen, das er in den Dolch fließen ließ, und in gleicher Weise schien auch die Schärfe der Klinge zuzunehmen. Schon hatte er den Stein in zwei Hälften zerteilt. Er setzte ein drittes Mal an und diesmal

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