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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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lästigen Pflichten eines Kapitäns.«
    Yonathan räusperte sich, dann las er die letzte Logbucheintragung noch einmal vor: »28. Tag des Monats Elul, 5. Tag der Woche, im Jahre Neschans 4746.
    Am gestrigen Tage ist die Weltwind zur Mittagszeit vom Hafen Kitvars aus in See gestochen. Unsere Ladung besteht aus Stockfisch, Wachs, Honig, Pech, Teer und Pottasche. Eine genaue Aufstellung aller an Bord genommenen Waren ist der Frachtliste zu entnehmen.
    Wir haben auf dieser Reise auch einen Passagier an Bord, sein Name ist Yonathan. Er ist ein netter, intelligenter Junge von dreizehn Jahren, der mir beim Schreiben dieser Eintragungen zur Hand geht.« Yonathan errötete, während er dies vorlas. »Yonathan hat sich erboten mir diesen Dienst bis zu unserer Ankunft in Cedanor zu leisten, was ich dankend angenommen habe, weil meine Augen nicht mehr so gut mitmachen wie früher. Auf eine Entlohnung hat er verzichtet.
    Da wir seit unserem Auslaufen aus dem Hafen Kitvars gegen auflandigen Wind ankämpfen müssen, haben wir zunächst einen südlichen Kurs eingeschlagen und segeln unter Wahrung des nötigen Seeraumes an der Küste entlang. Sobald der Wind etwas abflaut, werden wir unseren Kurs auf Südwest ändern, um das Verborgene Land zu umschiffen.
    Ende der Eintragung.«
    Kapitän Kaldek saß in seinem Sessel und hatte aufmerksam den Worten Yonathans gelauscht. Jetzt nickte er zufrieden. »Ja, ich glaube, so können wir es lassen: kurz und bündig.«
    »Meiner Meinung nach hätte es ruhig noch ein wenig kürzer sein können«, bemerkte Yonathan.
    Kaldek runzelte die Stirn. »Was soll das heißen? Gefällt Euch mein Stil nicht?«
    »O doch«, beeilte Yonathan sich zu versichern. »Nur die Bemerkungen über mich… das war doch eigentlich nicht nötig… für das Schiffslogbuch, meine ich.«
    Die Miene des Kapitäns glättete sich wieder. »Ach das meint Ihr. Lasst es gut sein, mein Junge. Das Logbuch ist für mich so manches Mal mehr gewesen als ein nüchternes Protokoll. Wenn man sich wochenlang auf dem Meer herumtreibt, kommen einem manchmal komische Gedanken. Und dann ist man froh, wenn man sie jemandem anvertrauen kann – auch wenn es nur ein Buch ist.«
    Yonathan nahm einen melancholischen Unterton in Kaldeks Stimme wahr. Er spürte, dass sich der kleine, stabil gebaute Kapitän, der so selbstbewusst auftrat, bisweilen recht einsam fühlte. »Aber Ihr habt doch Yomi. Er ist wie ein Sohn für Euch.«
    »Yo?« Kaldek lächelte. »Yomi ist zehn Jahre bei mir, und die meiste Zeit davon war er ein Kind – irgendwie ist er das heute noch. Mag sein, dass ich ihm nie ein richtiger Vater war. Aber konnte ich das? Schließlich war ich immer nur mit der Weltwind verheiratet und mit dem Meer. Wenn man da plötzlich einen Sohn bekommt, fällt es schwer sich zu ändern und aus seinen Fehlern zu lernen.«
    Die Worte Kaldeks klangen, als müsse er sich rechtfertigen. Yonathan war etwas durcheinander. Seit einiger Zeit schien sich ihm jedermann anvertrauen zu wollen. Lag es daran, dass er mit ihnen mitfühlte? Spürten sie, dass er ihnen helfen wollte? Er hörte sich sagen: »Ich bin sicher, Ihr habt Euer Bestes getan, Kapitän Kaldek. Und wenn Ihr mich fragt: Yomi ist ein prima Kerl, der das Herz am richtigen Fleck hat.«
    Kaldek war nun wieder Herr seiner Gefühle. Seine Schultern strafften sich. »Ich wiederhole mein Angebot: Ihr könnt im Logbuch der Weltwind blättern; außer Yo habe ich das bisher noch keinem erlaubt. Ihr werdet darin einige interessante Dinge über unser Schiff finden.«
    »Ich nehme Euer Angebot gerne an«, dankte Yonathan. »Aber sagt, wie lange ist die Weltwind schon Euer Zuhause?« Als Kaldek antwortete, wirkte sein Blick abwesend – als würde er direkt in die Vergangenheit schauen. Lächelnd sagte er: »In drei Monaten – ziemlich auf den Tag genau – werden es dreißig Jahre sein. Die Ereignisse überschlugen sich damals. Zirgon, der alte Kaiser von Cedan, dankte ab – er war sehr krank. Sein Sohn Zirgis bestieg den Thron in Cedanor. Mein Vater Balek hatte dem alten Kaiser gedient. Er hatte die Weltwind selbst konstruiert, zuletzt war er Admiral der kaiserlichen Handelsmarine. Die Weltwind war sein Flaggschiff. Zirgis, der neue Kaiser, hatte frühzeitig dafür
    gesorgt, dass anlässlich seiner Krönung ein neues Schiff fertig gestellt wurde, ein Viermaster, größer und prächtiger (allerdings auch schwerfälliger und plumper) als die Weltwind. Zirgis liebt großes Spektakel. Wahrscheinlich glaubte er,

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