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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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rechte Hand an sein Herz und verkündete feierlich: »Ich schwöre es. Nie wird ein Wort über meine Lippen kommen, wenn nicht du vorher dein Einverständnis dazu gegeben hast.« Er beugte sich vor und heftete den Blick auf seinen Freund.
    Yonathan spürte, dass Yomi meinte, was er sagte. »Es ist ein Stab«, sagte er so ruhig wie möglich.
    »Ein Stab?«
    »Ja, ein Stab. So etwas, worauf man sich aufstützen kann, wenn man schwach auf den Beinen ist oder der Weg trügerisch scheint.«
    »Du brauchst mir nicht zu erklären, was ein Stab ist, das weiß ich ziemlich genau. Willst du mir wirklich weismachen, dass du dich nicht mal für einen Augenblick von einem simplen Stab trennen kannst?«
    »Niemand hat gesagt, dass er simpel ist.«
    »Aha! Es ist also doch mehr an dem Stab, als du mir erzählen möchtest. Wahrscheinlich ist etwas ungeheuer Wichtiges mit ihm verbunden.«
    Yonathan erwiderte etwas gereizt: »Natürlich ist mehr daran. Ich habe dir doch gesagt, dass er für seinen rechtmäßigen Eigentümer einen erheblichen Wert besitzt. Aber wenn du wirklich mein Freund bist, dann frag jetzt nicht weiter. Du wirst es noch früh genug erfahren.«
    Dass Yonathan an ihre Freundschaft appelliert hatte, verfehlte seine Wirkung nicht. Yomi hüllte sich in beleidigtes Schweigen.
    »Nun sei nicht eingeschnappt«, fügte Yonathan hinzu. »Ich sagte doch, du wirst das Geheimnis des Stabes erfahren.«
    »Versprochen?«, fragte Yomi, noch immer schmollend.
    »Versprochen! Aber du musst mir auch etwas verraten.«
    Yomi zuckte mit den Schultern. »Was willst du wissen?«
    Yonathan hatte es geschafft das Gespräch in eine andere Bahn zu lenken.
    »Woher kommt der Name dieses Schiffes? Hat es irgendetwas mit den alten Legenden zu tun?«
    Ein Strahlen ging über Yomis Gesicht. »Diese Frage ist wirklich einfach; da wirst du es schwerer haben. Ich wundere mich, dass du nicht schon selbst darauf gestoßen bist. Du hast doch gestern im Logbuch geblättert, da steht es drin.«
    »Ja schon, aber das Logbuch ist ziemlich dick, und wie du selbst sagst, ich habe nur ein wenig darin geblättert.«
    »Es steht ganz am Anfang, gleich auf der ersten Seite.« Yomi grinste über das ganze Gesicht.
    »Also gut, du hast gewonnen, Yo.« Yonathan lächelte seinen großen Freund an und ging zu dem Regal, in dem das Logbuch der Weltwind stand. Am Tisch schlug er die erste Seite des dicken Schiffstagebuches auf.
    »Lies ruhig laut. Ich höre die Geschichte immer wieder gern«, bemerkte Yomi.
    Yonathan räusperte sich. Dann begann er zu lesen: »Die Weltwind-Sage handelte vom Göttervater Oßeh, der einst trauerte um all seine verlorenen Söhne, die wegen ihrer Abtrünnigkeit in dem Tartaros, dem Dunklen Ort, eine ewige Strafe erlitten. Immerfort hatte Oßeh ihre Pein vor Augen, beleuchtet von dem karminroten Licht des feurigen Grenzflusses, der den Ort der Strafe von den Sphären des Lichts trennte. Oßehs Herz quoll schier über vor Trauer ob dieses unfrohen Anblicks. So befahl er seinen treuen Söhnen, den Dunklen Ort und den Grenzfluss mit einem Gespinst aus Sternenlicht und einem Ring aus hohen Bergen zu verdecken. Doch selbst dieser Sichtschutz konnte Oßeh nicht trösten. Vielmehr erwies er sich für den Gott nur als ein neues Mahnmal, eine ständige Erinnerung an die Rebellion seiner Söhne. So gingen die ihm verbliebenen Gottgleichen daran, die Welt Neschan zu schaffen, um ihren Vater zu trösten. Ein Gott jedoch, Sevel, erschuf Menschen, damit sie den Göttern dienten. Schnell stellte sich aber heraus, dass die vernunftbegabten Geschöpfe nur äußerlich schön waren. Innerlich erwiesen sie sich als verdorben, ein Spiegelbild ihres selbstgerechten Schöpfers. Schließlich – Mord und Todschlag und jede Art von Schlechtigkeit hatte sich unter den Menschen ausgebreitet – hatte die Geduld Oßehs ein Ende: Er schleuderte seinen eigenen Sohn, Sevel, voller Zorn durch den Ring aus Bergen und durch das Gespinst aus Sternenlicht in den Tartaros hinab. Dann weinte er bitterlich. Oßehs Tränen heilten die entartete Schöpfung Sevels, aber der Name seines Sohnes wurde zu einem immer währenden Fluch und bis auf den heutigen Tag stand das Wort Sevel für Unrat, Mist und Kot. Da aber, wo Sevel in den Dunklen Ort hinabgeschleudert worden war, ergoss sich fortan in regelmäßigen Wellen das Wasser Neschans auf den rot glühenden Grenzstrom und wurde von dessen zerstörerischer Macht zu Dampf zerrissen, der schließlich wieder empordrängte, um sich in

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