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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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bildete sich ein freier Halbkreis, unter dem der von feiner Asche bedeckte Felsboden zum Vorschein kam.
    »Halt dich dicht bei mir. Wir müssen den See als eine Person durchschreiten.«
    Yomi legte seine Hand über Yonathans Schulter und achtete darauf, dass er dem Stab nicht zu nahe kam. Er drückte seinen kleineren Freund eng an sich und so setzten die beiden sich im Gleichschritt in Bewegung. Yonathan hielt Haschevet vor sich und ließ seine Spitze dicht über den Boden dahinschweben. Mit jedem Schritt, den sie vorankamen – Yomis Füße folgten den seinen so dicht, dass er ihm fast in die Hacken trat –, öffnete sich vor ihnen blubbernd und zischend die grünliche Masse, um sich hinter ihnen sofort wieder zu schließen. Wie eine wandernde Insel im Ozean durchquerten die beiden Freunde sicher den gesamten See.
    Schweißüberströmt und erleichtert standen sie schließlich in dem niedrigen, lang gezogenen Spalt, den sie schon vorher als dunklen Streif in der Höhlenwand erkannt hatten. Diesmal führte die Öffnung nicht in einen neuen Tunnel. Nein, sie führte direkt ins Freie!
    »Es ist unglaublich! Ich kann es noch gar nicht fassen.« Yomi musste sich im Höhlenausgang ducken, um nicht mit dem Kopf anzustoßen.
    »Das wurde wirklich Zeit«, fügte Yonathan erleichtert hinzu.
    Wenige Schritte weiter fühlten sie einen flachen Abhang unter ihren Füßen. Auch hier herrschte Dunkelheit, kein Mond und kein Stern ließen sich blicken. Aber die Luft war, obwohl feucht, frisch und angenehm. Der Duft von Nadelholz, Gräsern und Blumen weckte in Yonathan Heimweh nach den Wäldern von Kitvar. Und doch war die Stimmung, die diese Welt erfüllte, anders und fremdartig.
    »Wo werden wir wohl sein?«, fragte Yomi flüsternd.
    »Im Verborgenen Land«, erwiderte Yonathan, von einer Ruhe erfüllt, die er sich selbst nicht erklären konnte.
    Yomi nickte ehrfürchtig. »Ich finde es unheimlich aufregend, dass wir im Verborgenen Land sind. Im Verborgenen Land, Yonathan! Du hast doch vorhin selbst den vergessenen Dichter zitiert: ›Es entzieht sich des Menschen stetigem Suchen, das Land, welches das Verborgene man nennt.‹ Und wir sind jetzt hier! Verstehst du?«
    »Ich weiß, was du meinst, und mir geht’s genauso. Wir sollten uns jetzt aber überlegen, was wir tun. Zurückgehen können wir auf jeden Fall nicht.«
    »Du hast Recht. Komischerweise hast du Knirps fast immer Recht.«
    »Also hör mal!«, rief Yonathan. »Ich bin schon fast erwachsen. Dass ich neben dir wie ein kleiner Junge aussehe, liegt nur daran, dass du vergessen hast zum rechten Zeitpunkt mit dem Wachsen aufzuhören.«
    »Schon gut, schon gut«, beruhigte ihn Yomi. »Ich staune ja nur darüber, was du so alles tust und sagst. Was machen wir also jetzt?«
    »Wir durchqueren das Verborgene Land – von Nord nach Süd. Oder was siehst du für eine Möglichkeit?«
    Yomi schwieg eine Weile. Ihm gingen die alten Legenden durch den Kopf, die erzählten, dass niemand das Verborgene Land je betreten und wieder lebendig verlassen hatte.
    Yonathan fühlte Yomis Schwanken. »Mach dir nicht zu viele Sorgen, Yo. Man kommt halt nur sehr schwer hinein in dieses Land. Deshalb weiß man so wenig darüber. Reisende sind oft abergläubisch und der Aberglaube ist ein schlechter Führer. Außerdem habe ich einen Auftrag und bisher hat uns mein Auftraggeber doch ganz gut beschützt – oder?«
    »Ja, das hat er wirklich«, gab Yomi zu. »Aber das Verborgene Land ist sehr groß. Es dauert im besten Fall – wenn man bei gutem Wind Tag und Nacht segelt – zwei Wochen, bis man es umfahren hat. Wie lange werden wir wohl brauchen, wenn wir es zu Fuß durchwandern müssen?«
    »Du vergisst eines: Wir sind am Ewigen Wehr gestrandet und das Verborgene Land ist eine große Halbinsel. Wenn wir von hier aus geradewegs nach Süden wandern, dann durchqueren wir es an seiner schmalsten Stelle. Von hier aus dürften es nicht mehr als zweihundert, höchstens dreihundert Meilen bis zum Südkamm-Gebirge sein. Wenn wir das erst einmal
    erreicht haben, dann sind wir auch bald am Golf von Cedan.«
    »Ja, wenn wir uns inzwischen nicht verlaufen.«
    »Soweit ich die alten Geschichten von Goels Wanderung durch das Drachengebirge kenne, müsste dieses die östliche Grenze des Verborgenen Landes bilden. Wenn es also hell wird, dann werden wir die Ausläufer des Drachengebirges zu unserer Linken sehen – und so werden wir es halten, bis wir den Südkamm erreicht haben.«
    »Ja, wenn es hell wird.

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