Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
Hände in die Hüften gestützt. Er sah nun wirklich verärgert aus. »Was ist mit meinem Gesicht? Sag es bitte – und zwar so, dass ich es verstehen kann.«
»Na ja. Du siehst aus, als wäre die eine Hälfte von dir in der ewigen Sonne der Südregion aufgewachsen und die andere im ewigen Eis des fernen Nordens.«
»Soll das heißen… ich bin zweifarbig?«
Yonathan nickte.
Yomi starrte seine Hände an. Doch die sahen (vom Schmutz abgesehen) ganz normal aus.
»Es ist nur dein Gesicht«, erklärte ihm Yonathan. »Wahrscheinlich ist die Frucht daran schuld, die dir Zephon in den Mund stopfen wollte. Du erinnerst dich doch an deinen Traum? Als die Fee deine Nase losließ, hast du den Kopf zur Seite gedreht und da verteilte sie den Inhalt der Frucht auf deiner linken Gesichtshälfte.«
Yomi drehte sich um und rannte auf den Rand der Lichtung zu.
»Wo willst du denn hin?«, rief ihm Yonathan hinterher.
»Ich habe heute Nacht Wasser plätschern gehört. Da vorn muss irgendwo…«
Den Rest hörte Yonathan nicht mehr. Er griff seinen Stab und folgte Yomi. Wenige Schritte von ihrem Lagerplatz entfernt fand er ihn. Er kniete an der Böschung eines kleinen Bächleins, dessen Wasser an dieser Stelle ruhig dahinfloss, und hielt die Hände vor das Gesicht.
Yonathan legte ihm die Hand auf die Schulter. »Nimm’s nicht so schwer, Yomi. Es ist ja nur im Gesicht. Außerdem geht es bestimmt wieder ab.«
»Nur im Gesicht?«, schrie Yomi verzweifelt. »Du bist gut. Das ist so ziemlich mein einziger Körperteil, der ständig zu sehen ist. Die Fee hätte lieber versuchen sollen mir ihre Wunschfrucht als Klistier zu verabreichen – da wäre die Verfärbung nicht so aufgefallen. Es geht nämlich überhaupt nicht ab. Ich habe es versucht. Ich werde mein Leben lang so ungeheuer hässlich sein, dass ich mein Gesicht für immer verbergen muss. Die Leute werden denken, ich hätte Aussatz oder sei gar ein Bewohner Temánahs, was noch viel schlimmer ist.«
Yonathan bedauerte nun, dass er über seinen Freund gelacht hatte. Wie würde er sich wohl fühlen, wenn sein Gesicht dermaßen verunstaltet wäre? So schüttelte er den Stab in der Hand und versicherte fest entschlossen: »Du wirst wieder dein altes Gesicht zurückbekommen, Yo. Ich verspreche es dir.«
Obwohl Yonathan keinerlei Beweise für seine Behauptung nennen konnte, flößten seine ruhigen, geradezu prophetisch klingenden Worte Yomi neues Vertrauen ein. Er nahm die Hände vom Gesicht und fragte hoffnungsvoll: »So, wie es vorher war?«
Yonathan lächelte liebevoll. »Genauso, wie es vorher war. Vielleicht ein wenig weiser, aber sonst wirst du ganz der Alte sein.«
Nun musste auch Yomi lächeln und sogleich war er wiederder große Junge. Sein Äußeres hatte überhaupt sehr gelitten auf ihrer bisherigen Wanderung: Die blonden Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab, besonders die widerspenstige Strähne an der Stirn verlieh ihm ein wenig das Profil eines Einhorns. Seine Kleidung war zerlumpt. Das Abenteuer mit dem Bergegel in den Höhlen des Ewigen Wehrs hatte Yomis Hose arg mitgenommen. Sie hing nur noch in losen Fetzen herab. Dort, wo Yomi in der vergangenen Nacht hastig die klebrigen Blätter Zephons von seiner Haut gerissen hatte, prangten blutverkrustete Flecken.
Yonathan sah auch nicht viel besser aus: Die ledernen Stiefel und seine Tunika waren noch einigermaßen intakt. Seine Hose jedoch wies auch schon eine Menge Risse und Löcher auf.
»Wir sollten vielleicht etwas für unsere Körperpflege tun«, meinte Yonathan. »Komm, Yo. Wir müssen deine Wunden auswaschen.«
Die beiden Freunde reinigten sich, so gut es ging. Bei Yomis harzverklebten Beinen gelang das nicht völlig, einige schwarzbraune Flecken blieben zurück. Da die herabhängenden Fetzen seiner Beinkleider eher störend als nützlich waren, riss er sie kurzerhand ab.
Nachdem diese Maßnahmen beendet waren, trat Yonathan drei Schritte zurück, musterte seinen Freund und bemerkte zufrieden: »Jetzt siehst du wieder ganz manierlich aus.« Und als er bemerkte, wie Yomi skeptisch an sich herabblickte, fügte er eilig hinzu: »Du gibst einen fabelhaften Waldläufer ab; deine Beine sehen aus wie ein Leopardenfell. Das macht dich im dichten Blattwerk so gut wie unsichtbar.«
»Ich schlage vor, wir holen unsere restlichen Sachen und machen uns wieder auf den Weg.«
Die nächsten drei Tage verliefen ohne nennenswerte Zwischenfälle. Regen und trockenere Phasen wechselten einander ab, feucht und warm blieb
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