Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
Wache hielt, begann plötzlich eine wunderbare Musik in meinen Ohren zu klingen. Ich wurde von einer angenehmen, trockenen Wärme umgeben und der Duft nie gesehener Blumen drang an meine Nase. Da stand plötzlich eine Fee vor mir.«
»Eine… was stand vor dir?«
»Eine Fee.« Yomis Stimme klang ein wenig verärgert. »Du weißt schon: diese freundlichen, weiß gekleideten Damen, die netten Kindern hübsche Sachen bringen.«
»Bei mir hat sich noch nie eine sehen lassen.«
»Ich sagte ja auch ›netten‹ Kindern.«
»Erzähl weiter.«
Yomi brauchte einige Zeit, um sich erneut zu sammeln. »Wo war ich stehen geblieben?«
»Bei der freundlichen Dame in dem weißen Kleid.«
»Ach ja, die Fee stand also vor mir und lächelte mich an. Ich lächelte zurück. Sie war ungeheuer schön und für eine Fee ziemlich jung. Ich habe noch nie ein Wesen wie sie gesehen.« Yonathan fragte sich, warum so viele Männer immer diese glasigen, verträumten Augen bekamen, wenn ein hübsches Mädchen in ihr Blickfeld geriet. Natürlich, Männer heirateten und Frauen wurden verheiratet und bald wurden sie dann Eltern einer mehr oder weniger großen Kinderschar – das alles war ihm klar. Aber abgesehen davon, dass für ihn feststand niemals zu heiraten, war dieser Lauf der Dinge doch kein
Grund dafür, dass sich junge Männer und Frauen, wenn sie aufeinander trafen, so merkwürdig benahmen. Einige stammelten bei solchen Gelegenheiten wirres Zeug daher, andere stellten Dinge an, für die es keine vernünftige Erklärung gab.
Da Yomi nach seiner verzückten Beschreibung der Fee innegehalten hatte, versuchte Yonathan die Unterhaltung wieder in Gang zu bringen. »War es nicht etwas eintönig, sich nur gegenseitig anzulächeln?«
»Wäre es nach mir gegangen, sie hätte mich ein Leben lang anlächeln können«, erklärte Yomi. Doch als er fortfuhr, schwang in seiner Stimme wieder dieser verklärte Ausdruck mit. »Aber plötzlich hob sie ihre rechte Hand und hielt mir eine seltsame Frucht entgegen. Ich hatte sie vorher gar nicht bemerkt.«
»Kein Wunder, du warst ja mit ihrem Lächeln beschäftigt.«
»Na ja, jedenfalls sagte sie zu mir: ›Ich habe ein Geschenk für dich, Yo.‹ Stell dir vor, sie hat mich Yo genannt!«
Yonathan verdrehte die Augen.
»Sie hob die Frucht noch etwas höher, sodass sie meiner Nase ziemlich nahe kam. Das längliche, schwarz glänzende Gewächs stank fürchterlich. Es sah aus wie eine Gurke, die man aus kochendem Pech gezogen hat. Ich verstand überhaupt nicht, wie ein so bezauberndes Geschöpf etwas so ungeheuer Stinkendes und Unappetitliches in den Händen halten konnte. Aber die Fee klärte mich auf. Sie flötete: ›Iss davon, Yo. Wenn du die Frucht ganz aufisst, dann wirst du Wahrheiten erkennen, von deren Existenz du vorher nicht einmal geträumt hattest, und es werden sich Wünsche erfüllen, die so außergewöhnlich sind, dass sie dir heute nicht einmal in den Sinn kommen.‹ Ich entgegnete der Fee: ›Das ist ziemlich nett von Euch, aber die Frucht, die Ihr da in Euren Händen haltet, riecht so fürchterlich, dass mir jetzt schon speiübel wird.‹ Doch die Fee lächelte nur und erwiderte: ›Das ist doch überhaupt kein Problem, mein lieber Yo.‹ Stell dir vor, Yonathan. Sie hat ›mein lieber Yo‹ gesagt!«
Yonathan schwieg.
»Als ich die Fee fragend anblickte, erklärte sie: ›Ich halte einfach so lange deine Nase zu, bis du die Frucht vollständig aufgegessen hast. Du wirst sehen, ihr Geschmack ist sehr interessant. Du möchtest doch ein weiser und reicher Mann werden, nicht war, Yo?‹ – ›Selbstverständlich möchte ich das‹, entgegnete ich und nahm mir vor, als Erstes die Fee zu bitten für immer bei mir zu bleiben.«
»Wozu?«, fragte Yonathan.
»O Yonathan!« Yomi stöhnte. »Das erzähle ich dir, wenn du älter bist. Dann wirst du es verstehen.«
Yonathan zuckte mit den Schultern. »Also gut. Erzähl weiter.«
»Die Fee trat ganz nah zu mir, die zierlichen Finger ihrer linken Hand drückten meine Nase zu, während ihre Rechte die Frucht zu meinem geöffneten Mund führte. Wieder lächelte sie mich an. Obwohl der fürchterliche Geruch jetzt verflogen war und ich das ungeheuer schöne Lächeln der jungen Fee genoss, reichte das Bild der schwarzen Gurke vor meinen Augen aus, mir einen Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Unwillkürlich schüttelte es mich und meine Nase entglitt dadurch den Fingern der schönen Fee. Da traf mich mit voller Wucht die stinkende Wolke
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