Nesthäkchen 01 - Nesthäkchen und ihre Puppen
auf einem Schiff und nicht in einem richtigen Haus, Fräulein?«
»Weil sein Vater Schiffer ist«, war die Antwort. »Ich wollte, mein Vater wäre auch Schiffer!« sagte Nesthäkchen mit einem tiefen Seufzer. »Dann dürfte ich auf dem Schiff rumklettern, ohne daß du gleich Angst hättest, daß ich ins Wasser falle, und die Entchen würden dann den ganzen Tag um mich herumschwimmen und - und das Allerschönste wäre, daß ich in dem niedlichen kleinen Häuschen wohnen könnte.«
»In deiner Kinderstube ist es sicher viel schöner«, beruhigte sie Fräulein Lena.
»Hat das kleine Mädchen auch eine Puppenküche?«
»Ich glaube nicht«, meinte Fräulein Lena.
»Ob sie so viele Puppen hat wie ich«, fragte Nesthäkchen.
»Annemarie, frage das kleine Mädchen doch selbst danach, wir sind ja jetzt dicht am Schiff angelangt.«
Aber das brachte das schüchterne kleine Ding nicht fertig. Trotzdem Fräulein Lena sich in der Nähe auf eine Bank setzte, um Annemarie Gelegenheit zur eingehenden Betrachtung des Schiffes und seiner kleinen Bewohnerin zu geben.
Diese mochte wohl in Annemaries Alter sein. Sie hatte ebenfalls zwei festgeflochtene Rattenschwänzchen. Ein kurzes, rotes Röckchen trug sie und darüber eine kleine, blaue Küchenschürze.
»Ganz wie Hanne!« dachte Annemarie voll Bewunderung. Aber als sie jetzt ihre Augen von dem sonnenverbrannten Gesichtchen der Kleinen weitewandern ließ bis zu deren Füßen, da hatte Annemaries Bewunderung ihren Höhepunkt erreicht.
Holzpantinen - niedliche kleine Holzpantinen, gerade solche, wie sie Hanne beim Scheuern und bei der Wäsche trug, hatte das kleine Mädchen über ihren rot- und blaugeringelten Strümpfchen.
Während Annemarie das kleine Schiffermädel beneidete, hegte dieses ganz ähnliche Gefühle.
Ach, das feine weiße Stick-Kleid, welches die kleine Fremde trug, und der weiße Hut! Am schönsten aber fand Lenchen - so hieß das kleine Schiffermädchen - die weißen Stiefelchen und die weißen Wadenstrümpfchen. Sie schämte sich ihrer Holzpantinen.
So schauten sich die zwei gegenseitig in stummer Bewunderung an.
Aber als ihre Augen sich bei dieser Beschäftigung begegneten, mußte Annemarie lachen. Da nickte ihr Lenchen freundlich zu.
Nun traute sich Annemarie endlich, eine Unterhaltung zu beginnen.
»Wie heißt du?« fragte sie.
»Lenchen«, klang es vom Schiff zurück, »und du?«
»Ich heiße Annemarie, aber das Fräulein nennt mich Annemarie, und Vater und Mutti sagen Lotte zu mir, wenn ich artig bin!« rief Annemarie.
»Warum wohnst du denn auf einem Schiff?« setzte Annemarie die Fragerei weiter fort.
»Wo soll ich denn sonst wohnen?« Lenchen riß ihre blauen Augen erstaunt auf.
»Na, in einem richtigen Hause mit Treppen«, belehrte sie das Landkind.
»Unser Schiff hat auch eine Treppe!« Stolz wies das Flachsköpfchen auf die kleine Stiege, die zum Wohnraum hinabführte.
Ach richtig - nein, war das niedlich - wie eine Puppenwohnung kam Annemarie alles vor. »Habt ihr denn auch einen Portier?« erkundigte sie sich.
»Einen Port-tjeh?« Lenchen stotterte etwas bei dem Wort, sie hatte es noch niemals gehört.
»Naja, also ein Portier, der bewacht das Haus, daß kein Dieb reinkommt«, belehrte sie Annemarie.
»Ach, nun weiß ich, - solchen Portier, der das Schiff vor Dieben bewacht, haben wir auch, aber bei uns heißt er ,Karo‘.« Als ob sie ihn gerufen hätte, erschien plötzlich ein gelbes Hündchen neben Lenchen.
Annemarie wollte sich ausschütten vor Lachen.
»Ein Hund ist doch im Leben kein Portier!« stieß sie hervor. »Wir haben auch einen Hund, Puck heißt er, und sechs Puppen habe ich, hast du auch welche?«
Natürlich hatte Lenchen auch eine Puppe. Sie lief gleich mit klappernden Pantinen hinab, um sie Annemarie zu holen. Aber bis sie ihre Puppe vorgekramt hatte, kam das Fräulein und nahm Nesthäkchen an die Hand, um weiterzugehen. Nur aus der Ferne konnte Annemarie dem kleinen Rotröckchen noch einen Gruß zuwinken.
»Ich habe eine neue Freundin, Lenchen heißt sie und wohnt auf einem richtigen Schiff!« Es gab keinen in der ganzen Wohnung, dem Annemarie diese wichtige Neuigkeit nicht mitteilte. Sogar Puck und Mätzchen mußten davon Kenntnis nehmen. »Vater, wenn du ein Schiffer wärst, hätte ich dich noch mal so lieb!« sagte Nesthäkchen beim Gutenachtkuß.
»Aber Lotte, was soll denn das heißen?«
»Ja, dann könnte ich wie Lenchen in der niedlichen Stube auf dem Wasser schlafen.«
»Na, wir können ja
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