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Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr

Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr

Titel: Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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gedruckten Buchstaben gemacht hatte, war es Fräulein Lena beinahe unmöglich, mit Klein-Annemarie auf die Straße zu gehen. Vor jedem Ladenschild blieb sie stehen und übte ihre Lesekunst; es war jedes Mal ein Wunder, daß sie noch zur Zeit in der Schule anlangte.
    Eines Tages wollte das kleine Mädchen nicht in die Hardenbergstraße einbiegen, durch die ihr Schulweg führte.
    »Nein, Fräulein, ach bitte nein, ich graule mich so, wir wollen doch lieber die andere Straße lang gehen«, bettelte sie flehentlich und zog das Fräulein an der Hand zurück.
    »Aber Annemarie, bist du denn nicht gescheit?« lachte diese. »Wir gehen doch seit Wochen täglich durch die Hardenbergstraße, wovor fürchtest du dich denn plötzlich am hellen Tage?«
    »Ich will's nicht sagen«, flüsterte Annemarie verlegen mit einem Blick auf die neugierig lauschende Freundin.
    »Nein, Annemarie«, Fräulein schüttelte den Kopf, »wenn du nicht sagen willst, was du in der Hardenbergstraße fürchtest, gehen wir ruhig dort lang. Es ist auch ein Umweg durch die andere Straße, wir kommen nicht mehr zur Zeit.«
    Es half nichts, Annemarie musste mit in die gefürchtete Hardenbergstraße einbiegen. Da sah alles, die schönen Häuser, die blühenden Vorgärten und die lustig entlang bimmelnden elektrischen Bahnen, so frühlingsmäßig und heiter aus, daß weder Fräulein noch Margot hier irgend etwas Schreckhaftes wahrnehmen konnten.
    Und doch umklammerte Nesthäkchen angstvoll Fräuleins Rechte.
    »Da - da -«, flüsterte sie aufgeregt und wies scheu auf einen höchst appetitlich aussehenden Schlächterladen an der Ecke.
    »Ja, was denn, siehst du Gespenster, Annemiechen, was ist denn da so Fürchterliches?«
    »Das Schild«, stieß das kleine Mädchen zitternd hervor und hielt sich die Augen zu.
    »Rind- und Schweineschlächterei von Karl Piependeckel«, las Fräulein.
    Sie konnte beim besten Willen daran nichts Schauriges entdecken.
    »Jetzt sagst du mir, was dich an dem Schild ängstigt«, verlangte Fräulein in so bestimmtem Ton, daß Klein-Annemarie die Händchen von den Augen nahm.
    »Da - «, sagte sie noch einmal, und buchstabierend las Nesthäkchen voll Grausen: »Kind- und Schweineschlächterei.«
    Hellauf lachte Fräulein. »Aber Annemie, du bist doch dümmer als dumm, der erste Buchstabe ist doch ein großes R und kein K.« Fräulein lachte immer noch. »Rind- und Schweineschlächterei und nicht Kind- und Schweineschlächterei heißt das; du hast wohl Angst gehabt, hier werden kleine Kinder geschlachtet, du kleines Dummerchen?«
    »Ja«, gab Nesthäkchen zu und atmete erleichtert auf.
    Aber als Margot sie jetzt neckte: »Die Annemie hat geglaubt, der Schlächter macht eine Wurst aus ihr!« da war es ihr doch recht peinlich, daß sie ausgelacht wurde.
    Besonders, weil auch daheim etwas von Nesthäkchens merkwürdiger Lesekunst verlautete. Wo sich die Kleine blicken ließ, wurde sie damit aufgezogen.
    Das Gute an Annemaries lustigem Irrtum war, daß sich die Kleine in der Lesestunde jetzt noch viel mehr Mühe gab als vorher. Sie hatte sich zu sehr geschämt, so was durfte ihr nicht wieder passieren.
    Auch in den anderen Stunden konnte Fräulein Hering mit Annemarie Braun zufrieden sein. Keine rechnete so flott wie sie. Längst hätte Annemarie wohl ihre Freundin Margot Thielen überflügelt, denn sie wurden beim Rechnen herauf-und heruntergesetzt, wenn nicht leider auch beim Schreiben die Plätze nach den Leistungen eingenommen wurden.
    Doktor Brauns Nesthäkchen blieb das, als was es sich gleich in der ersten Schreibstunde eingeführt hatte: Ein kleiner Schmierfink.
    Annemaries Hefte sahen niemals tadellos sauber aus. Irgendwo gab es immer ein niedliches Kleckschen, ein ausgewischtes Schwänzchen, und die Seiten zeigten meist lustige Eselsohren. Die schönen, blauen Papierumschläge, die das Fräulein zu Beginn der Schule über die Bücher gezogen, hingen zerfetzt herum, obgleich sie schon erneuert worden waren. Alles Schelten und Predigen von Fräulein Lena wollten nichts nützen.
    Margot aber war ein sehr ordentliches kleines Mädchen, das sorgsam mit seinen Heften und Büchern umging. Die Schreibseiten von Margot waren stets so sauber und nett, daß fast immer ein »Sehr gut« mit roter Tinte darunter stand.
    Ach, wie schauten Annemaries Abschriften dagegen aus! So unsauber, als ob die Hühner darübergelaufen wären. Darum saß Margot noch immer über Annemarie.
    Heute wurde zum ersten Mal Diktat im ersten Schuljahr geschrieben.

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