Nesthäkchen 02 - Nesthäkchens erstes Schuljahr
neigten zu der Ansicht, daß sie vier Beine hätte. Margot Thielen meinte: »Gar keine, nur zwei Flügel!« was ihr ein schmeichelhaftes »Haach - ist die dumm!« von ihrer verfeindeten kleinen Freundin Annemarie eintrug.
»Na, ich will es euch sagen: Eine Fliege hat sechs Beine. Wieviel Beine hat denn ein Fisch? Na, Marlenchen?«
»Das kann man doch nicht sehen, weil die Fische sie ja immer ins Wasser stecken«, antwortete der kleine Schlaukopf.
»Habt ihr denn noch niemals einen Fisch in der Küche gesehen?«
»Ja - natürlich - heute mittag gibt es bei uns Fisch«, ging es wieder lustig durcheinander.
»Na, da erzähle uns mal morgen, wieviel Beine der Fisch gehabt hat, Elli«, scherzte die Lehrerin. »Ei, Ruth, willst du es uns sagen?«
»Ein Fisch hat gar keine Beine, bloß einen Schwanz«, deklamierte Ruth.
Jetzt lachte aber die ganze Klasse hellauf.
»Keine Beine - hahaha - womit sollten die Fische dann wohl schwimmen?« machte sich Annemarie lustig.
»Ruth hat ganz recht. Ein Fisch hat keine Beine, sondern nur Flossen und einen Schwanz. So - und nun wollen wir mal die Naturkundestunde für heute beenden und unser Schweinchen kneten«, sagte Fräulein Hering.
Da wurden die merkwürdigsten Schweinchen geschaffen. Das von Ilschen glich einem Igel, das von Marlenchen einer Eidechse. Hilde hatte einen Tisch mit vier Beinen und einem Schwanz geformt, der sollte ein Schwein vorstellen. Annemaries Schwein sah aus wie eine vierfüßige Wurst und das angeklebte Schwänzchen dazu wie der Wurstzipfel. Da schielte sie auf Margots Kunstwerk.
»Das ist ja ein Elefant und kein Schwein«, rief sie laut.
Margot sah gekränkt auf ihr mißratenes Schweinchen, dessen Rüssel allerdings etwas zu lang geworden war. Nein, wenn die Annemarie so war, dann würde sie überhaupt nicht wieder mit ihr gut!
Das Bösesein wurde noch schwieriger, als mittags Annemaries Fräulein die beiden kleinen Freundinnen von der Schule abholte. Sonst kamen sie immer umschlungen die Treppen hinuntergehopst. Heute erschien Nesthäkchen allein, und zwar ziemlich langsam, denn sie fürchtete Fräulein Lenas Fragen. Die blieben auch nicht aus.
»Wo ist denn Margot?« erkundigte sich Fräulein Lena.
Klein-Annemarie zuckte die Schultern und wandte das rote Gesicht zur Seite. Zum Glück tauchte Margots roter Hut gerade auf, daß Fräulein nicht weiterforschte.
Aber als dann eine kleine Freundin links von Fräulein spazierte und die andere rechts, als Annemarie in einem Redestrom blieb, um nur Fräulein Lena nicht zu Wort kommen zu lassen, während Margot befangen schwieg, merkte Fräulein Lena doch den Sachverhalt.
»Nanu, Kinder, ihr habt euch doch nicht etwa gezankt?« erklang die peinliche Frage.
Margot drehte den Kopf nach links und Annemarie den ihren nach rechts.
Beide wurden sie puterrot, beide gaben sie keine Antwort.
»Na, das ist ja recht nett«, sagte Fräulein, »kleine Mädchen dürfen doch nicht miteinander böse sein. Wenn ihr Freundinnen sein wollt, müßt ihr euch vertragen. Gebt euch mal die Hand und seid wieder gut!«
Aber Annemarie wandte den Kopf rechts und Margot links. Eigentlich hätten sie sich alle beide wieder sehr gern vertragen, aber sie waren so dumm, sich vor Fräulein zu schämen.
So machte Margot, zu Hause angelangt, nur einen eiligen Knicks vor Annemaries Fräulein, und ohne sich anzusehen, gingen die beiden kleinen Mädchen heute auseinander.
Annemarie wurde den ganzen Tag nicht recht froh. Es war Annemarie ein bedrückender Gedanke, wenn irgendjemand in der weiten Welt sie nicht mehr liebhatte.
Und daß dieser jemand ihre beste Freundin war und gar nicht irgendwo in der weiten Welt wohnte, sondern drüben am Kinderstubenfenster, halb verborgen von der Gardine, stand und ebenso verstohlen herüberspähte wie sie selbst, war um so trauriger. Aber keins von den beiden Trotzköpfchen nickte heute einen Gruß hinüber.
Ein fortgejagter Schüler
Am anderen Morgen war dasselbe Schauspiel wie am Mittag zuvor. Eins ging hüben, eins drüben, nur daß zwischen den beiden kleinen Freundinnen heute nicht Fräulein Lena, sondern das Kindermädchen Emilie wanderte.
Aber noch einer wanderte mit den dreien mit, und zwar heimlich: Das war Puck.
Als das Kindermädchen sich unten verabschiedete, lief er in plötzlichem Bildungsdrang dreist hinter dem nichts ahnenden Nesthäkchen her in die Klasse.
Dort entstand durch das Erscheinen des vierfüßigen Schülers ein wilder Aufruhr.
»Ein Hund - ein Hund!« so
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