Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
wieder auf ihren Platz. Annemarie dagegen lief neben Willem her, unaufhörlich schwatzend. »So - dat da vorn dat ist uns' Steuermann, und dat Sprachrohr, wo er hat, dat geiht (geht) zum Herrn Kapitän ruf (rauf).« Ein wenig neidisch sah Annemarie auf den Steuermann oder vielmehr auf das große Steuerrad, an dem er hin und wieder hantierte. Für ihr Leben gern hätte sie auch ein bißchen daran gedreht.
»Und denn ganz tau overst (oberst) uns' Herr Kapitän, dat ist der Höchste von all.« Willem wies auf die schmale Schiffstreppe, die zum Kapitänsdeck hinaufführte. Hast du nicht gesehen war Nesthäkchen von seiner Seite und die Treppe zum Kapitänsdeck hinauf. Es sah nicht das unten angebrachte Schild: Betreten streng verboten.
»Dat geiht nich - dat is nich erlaubt, lütt Fräulein!« rief Willem erschreckt hinter ihr her.
Aber Annemarie ließ sich nicht stören. Oben angelangt, machte sie einen höflichen Knicks und sagte freundlich: »Guten Tag, Herr Kapitän.«
»Dunnerkiel« - der Kapitän wollte losfahren, da sah er, was für ein lieber Blondkopf sein unerbetener Besuch war. Seine Miene wurde freundlicher.
»Du Kleine, das Betreten dieses Decks ist nicht erlaubt«, er drohte ihr lächelnd.
»Och, das schadet nichts, wenn Sie mich nur nicht rausschmeißen, Herr Kapitän!
Willem sagt doch, Sie sind der Höchste hier auf dem Schiff.« Treuherzig sahen ihn die strahlenden Blauaugen an.
»Ja, was willst du denn hier oben eigentlich, Kleine?«
»Bloß mal ein bißchen runtergucken, die Aussicht ist hier so schön«, teilte Annemarie ihm freimütig mit.
»Na, dann guck nur!« Der Kapitän lachte belustigt.
Aber der quecksilbrigen Annemarie wurde das Stillstehen da oben bald langweilig. Darum machte sie ihren Abschiedsknicks, sagte: »Ich danke auch vielmals, Herr Kapitän«, und unten war sie wieder.
»Je, gut, dat du kummen tust, lütt Fräulein, ick will dich man schnell noch bei dein Mutting abliefern. Ich möt (muß) nu all an min Arbeit - gleich sünd wir in Cuxhaven«, damit brachte der Matrose Annemarie zu Frau Braun zurück.
Die kleinen niedlichen Wellen, die bisher das Schiff begleitet hatten, wurden allmählich großer und stärker, das Schaukeln auf dem Schiff nahm zu. Der Wind begann Annemaries Locken zu zausen.
Wunderbar war es hier draußen auf dem weiten, weiten Meer. Nichts als Wasser, wohin Annemarie auch blickte. Tiefblau war es, noch blauer als der Sommerhimmel, der sich wie eine durchsichtige Glasglocke darüberstülpte. Aus den silbern flirrenden, unermeßlich weiten Wassern tauchte jetzt ein winziger roter Punkt auf - die Insel Helgoland. Viele Augen bewaffneten sich mit Ferngläsern. Immer größer, immer deutlicher wurde der rote Punkt, schon konnte man das Ober- und Unterland der Insel unterscheiden.
»Helgoland ist ein vielbesuchtes Seebad«, erzählte Frau Braun ihrem Nesthäkchen.
Inzwischen waren sie ziemlich dicht an Helgoland herangekommen. Deutlich sah man das merkwürdig rote Gestein, das diese Felseninsel auszeichnet.
»Grün ist das Land, Rot ist die Kant', Weiß ist der Sand Das sind die Farben von Helgoland.«
Frau Braun und ihr Töchterchen begaben sich in den Speisesaal. Annemarie wußte aber nicht, was sie mit Gerda beginnen sollte. In den Speisesaal mochte sie die Puppe nicht mitnehmen, sie konnte sie doch nicht die ganze Zeit während des Essens auf dem Schoß behalten. Da erbarmte sich ihr Freund Willem der Puppe. Er steckte sie in die Tasche seines Tranmantels.
»Nun habe ich meine Gerda auch in Pension gegeben, wie du mich, Mutti«, beruhigt folgte Nesthäkchen jetzt der Mutter die Treppe hinab.
Ein wenig beklommen hatte Nesthäkchen an der schönen Tafel unter den vielen fremden Menschen Platz genommen. Nur bei Kindergesellschaften hatte sie bisher an solch einer festlichen Tafel gesessen. Und das war hier doch ganz was anderes. Schon, daß die Schüsseln herumgereicht wurden und sie sich selbst etwas nehmen durfte, war aufregend. Denn zu Hause legte Mutti ihren Kindern vor.
Fragend blickte Annemarie zur Mutter hin, als der Kellner, auf dem Schiff »Steward« genannt, ihr die Schüssel reichte.
»Nimm dir nur, Lotte«, nickte Mutti lächelnd.
Nachdem Annemarie das Kunststück herzklopfend fertiggebracht und das Stück Heilbutt glücklich auf ihrem Teller lag, schielte sie wieder fragend zu Mutti hin: Hatte sie sich auch nicht zuviel genommen?
Die Tischnachbarn beobachteten diesen bei jedem Gang sich wiederholenden Vorgang belustigt. Einige
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