Nesthäkchen 03 - Nesthäkchen im Kinderheim
säuberlich nebeneinander im Schrank, und die Wäsche ordnete Ellen mit der ihr eigenen Hamburger Gründlichkeit.
»Gittigitt - da schellt es schon«, die sonst so ruhige Ellen war in großer Aufregung. »So, nun sind wir fertig!« - die drei atmeten tief auf.
»Glaubt ihr, daß ich jetzt mit darf?« Annemarie war es noch zweifelhaft.
»Bes-timmt, was solltest du denn auch zu Hause, es ist ja schon alles S-tück für S-tück ordentlich eingeräumt«, meinte Ellen.
Gerda aber drückte ihr die Hand und flüsterte: »Du glaubst gar nicht, wie lieb Tante Lenchen ist!«
»Tante Lenchen«, Annemarie zögerte nach dem Mittagessen noch ein wenig, während die anderen Kinder das Speisezimmer schon verlassen hatten. »Ich habe alles schön aufgeräumt - darf ich nun mit?« In grenzenloser Spannung blickte das kleine Mädchen zu Tante Lenchen auf.
»Nein, Kind, das kann unmöglich in dieser kurzen Zeit gut geworden sein.«
»Ach, bitte, bitte, sehen Sie doch nach, liebe Tante Lenchen«, Annemarie bettelte und schmeichelte, wie nur sie es verstand. Damit hatte sie schon manches Herz erweicht, und Tante Lenchens gütiges sollte standhalten?
»Meinetwegen - aber wenn nur so obenauf Ordnung geschaffen ist, dann nützt dir alles nichts«, drohte sie.
Doch als Tante Lenchen jetzt Kästen und Schrank aufschloß, traute sie ihren Augen kaum. »Ja, Annemarie, kannst du hexen, oder haben dir die Onnerbankjes, unsere friesischen Heinzelmännchen, beigestanden?«
»Die Onnerbankjes - die Onnerbankjes«, ausgelassen sprang Annemarie in dem Zimmer umher, denn sie merkte, daß Tante Lenchen ihr nicht mehr böse war.
»Eins hat lange braune Zöpfe und eins einen Lockenkopf«, lachte sie schalkhaft.
Da mußte auch Tante Lenchen wieder lachen. »Ja, wenn du so gute Freunde unter den kleinen Wichtelmännchen hast, dann muß ich wohl auch ein Auge zudrücken und mein Verbot zurückziehen -« Tante Lenchen kam nicht weiter. Annemarie erdrückte sie fast mit ihren Dankesbezeigungen.
Puppe Gerda wanderte in das Spielzimmer zu den anderen Puppen und Annemarie mit den übrigen Kindern durch Felder und Wiesen nach dem alten Friesendorf Nebel. Es war ein besonders schöner Nachmittag, auch Frau Clarsen nahm an dem Ausflug teil. Annemarie genoß den schönen Tag noch mehr als die übrigen.
Erstens, weil ihre Mutter dabei war, und zweitens, weil sie es als ein Geschenk betrachtete, daß sie überhaupt mitgenommen worden war. Es wäre aber auch schrecklich gewesen, wenn sie hätte zurückbleiben müssen, denn Frau Braun lud das ganze Kinderheim zu Schokolade mit Schlagsahne unter den schattigen Bäumen der dortigen Konditorei ein.
Lieder singend, zog dann die junge Schar langsam heimwärts, während die scheidende Sonne grüngoldene und violettpurpurne Farben über Himmel und Meer ergoß.
Die Tage rollten dahin wie die Wogen des Meeres. Ein Schwärm von Schulkindern war mit den großen Ferien auf die Insel Amrum gekommen. Das kribbelte und krabbelte allenthalben im warmen, weißen Sande herum, denn Wittdün war ein Kinderparadies. Die Clarsenschen Kinder fühlten sich diesen fremden kleinen Badegästen gegenüber wie Eingeborene der Insel. Auch Annemarie dachte nicht mehr daran, daß sie ja eigentlich ebenfalls nur für die Zeit der Sommerferien in Wittdün bleiben wollte.
Die schönste Stunde am Tag war unbedingt das Baden. Längst hatte Annemarie ihren neuen blauen Badeanzug eingeweiht. Schon machte sich der Erfolg der reinen salzhaltigen Luft und des ständigen Aufenthaltes in der stark ausstrahlenden Sonne bemerkbar. Nesthäkchen war kein Blaßschnabel mehr. Annemaries schmale Wangen begannen sich zu runden und rosig zu werden.
Frau Braun war ganz glücklich darüber. Ja, sie überlegte sogar manchmal im Stillen, ob ihre Lotte sich nicht in den Ferienwochen schon so gut erholt hätte, daß sie sie wieder mit nach Berlin nehmen könnte. Aber sie verließ sich auf die größere Erfahrung ihres Mannes. Gerade weil der Erfolg so glänzend zu werden versprach, durfte man ihn nicht verringern.
Ein hoher Besuch
Auf der sonnigen Gartenwiese tummelten sich die Zöglinge des Kinderheims.
Lies hing am Reck, Lott an den Schaukelringen, und die Jungen hatten den Barren mit Beschlag belegt. Die übrigen Kinder machten nach dem Kommando von Fräulein Mahldorf gymnastische Atemübungen.
Da trat Tante Lenchen erregt aus dem schattigen Laubengang heraus.
»Kinder, eine große Neuigkeit!“ rief sie schon von weitem. »Ihre Majestät, die junge
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