Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg
hernehmen.
Hans und Annemarie mußten lachen.
»Ich hab‘ es doch so genannt, weil es keine Eltern hat, und weil es jetzt mein Kind ist«, so laut Annemarie auch schrie, Hindenburg junior überschrie sie.
»Dein Kind - na, laß man die jnädije Jroßmama nach Hause kommen!«
»Großmama wird sich sehr freuen mit meinem Jungen und Fräulein auch, gerade so wie ich. Aber Sie haben gar kein Herz, Hanne, für so’n armes, verlorengegangenes Ostpreußenkind. Bsch - bsch - sei ruhig, Hindenburg!« Was so’n winziges Ding doch schon für eine Kraft in der Kehle hatte. Annemarie klopfte und schaukelte den Wagen, aber Hindenburg brüllte wütend weiter.
»Na, komm mal her, Kleener«, die Köchin griff nach dem Schreihals. Den Vorwurf der Herzlosigkeit wollte die gute Hanne doch nicht auf sich sitzen lassen. »Det Wurm hat Hunger,« entschied sie dann sachverständig, »es saugt ja an de Fingerkens.«
»Nee, das ist gar nicht möglich, es hat schon so viel Milch getrunken«, behauptete seine kleine Mutter. Nach Fug und Recht konnte Hindenburg doch ruhig sein. Das fiel ihm aber gar nicht ein. Er begann mit ungeschwächten Lungen von neuem zu trompeten. Dabei steckte er die Finger in den Mund, daß er beinahe erstickte.
»Hindenburgchen - sei doch artig - morgen fahre ich dich auch spazieren«, aber selbst dieses Versprechen Annemaries fruchtete nichts. Sie holte einen kleinen Ball herbei und hielt ihn dem Wickelkind hin, aber das war noch zu dumm, um danach zu greifen. Auch die Kuhglocke, die als Tischklingel benutzt wurde, und die Annemarie geräuschvoll in Bewegung setzte, um den Kleinen zu erheitern, hatte nur den einen Erfolg, daß Hindenburg sie aus Leibeskräften zu übertönen trachtete.
Da kam gerade die Großmama nach Haus. Schon aus dem Treppenflur vernahm sie das ohrenbetäubende Duett - Himmel, kam das aus ihrer Wohnung?
»Hanne, was ist denn bei uns los?«
»Na, sehen jnädije Frau man rein, drin jibt’s ‚ne Überraschung«, Hanne lachte in sich hinein.
Ja, das gab wirklich eine Überraschung für die Großmama. Ob aber eine sehr freudige, soll dahingestellt bleiben!
In dem fürchterlichen Radau und in dem Bestreben, den Kleinen zu beruhigen, überhörte Annemarie den Eintritt der Großmama. Die blieb entsetzt mitten im Zimmer stehen. Sie traute ihren Augen nicht.
Da schrie und meckerte aus Nesthäkchens Puppenwagen, in dem die Puppen sich sonst ganz geräuschlos zu benehmen pflegten, ein lebendiges Etwas. Und Nesthäkchen selbst machte mit ihrer Klingel einen noch lauteren Spektakel. Hans aber stand auf der anderen Seite des Puppenwagens und ließ seine Taschenuhr hin und her schwingen, ohne daß dies irgendwelchen Eindruck auf den kleinen Schreihals machte.
»Ja, Kinder, was bedeutet denn das - wollt ihr mir das nicht gefälligst erklären?« Es dauerte eine ganze Weile, bis Großmama sich Gehör verschaffen konnte.
Annemarie hielt sofort im Läuten inne, Hindenburg aber nicht im Brüllen.
»Liebstes, einziges Großmuttchen, du hast ein Urenkelchen gekriegt!« Nesthäkchen flog auf die Großmama zu und zog sie selig zu dem Puppenwagen.
»Was?« mehr brachte Großmama nicht heraus.
»Ist es nicht süß - wenn es man bloß nicht so schreien wollte!«
Diesen lebhaften Wunsch hegte auch die Großmama. Sie war in den fünf Minuten, in denen sie wieder zu Hause war, schon ganz wüst im Kopf geworden von dem Radau. Und »süß« konnte sie den krebsroten, kleinen Kahlkopf auch beim besten Willen nicht finden. Wie kam denn der überhaupt hierher?
Großmama wandte sich mit fragenden Augen an Hans. Da kam sie gerade an die richtige Adresse.
»Ich hab‘ ihn mitgebracht, Großmama,« gab Hans ein wenig zaghaft Auskunft, »weil der arme, kleine Kerl kein Unterkommen fand.« Es war ihm nun doch zweifelhaft, wie Großmama sich zu dem kleinen Lärmmacher stellen würde.
»Und ich hab‘ ihn von Hänschen geschenkt bekommen, weil er doch keine Eltern mehr hat, ich will ihn aufziehen! Na, lach‘ die Urgroßmama doch mal an, Hindenburg!«
»Was - wie heißt er?«
»Hindenburg - so habe ich ihn dem General von Hindenburg zu Ehren genannt«, erklärte das kleine Mädchen stolz.
Da lachte aber die »Urgroßmama« statt seiner, lachte - lachte - sie konnte sich gar nicht beruhigen.
»Und der kleine Hindenburg soll bei uns bleiben?«
»Wenigstens so lange, bis man anderswo Platz für ihn findet, oder bis die Eltern sich melden«, räumte der Obersekundaner zögernd ein.
»Nee, bis er groß ist - ich
Weitere Kostenlose Bücher