Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg
Einvernehmen der beiden und dachte: »Ich wünschte, da draußen in der Welt wäre so schnell Frieden wie bei meiner kriegerischen kleinen Gesellschaft.«
Reichswollwoche
Die Reichswollwoche, die merkwürdigste Woche, die der Krieg gezeitigt, war ins Land gezogen. Das unterste kehrte sie zu oberst im ganzen Deutschen Reich. Da war kein Haus und kein Hüttchen, in dem nicht Kästen und Schränke durchsucht und durchstöbert wurden. Ein jeder kramte an altem Wollzeug hervor, was er nur entbehren konnte.
»Kinder, ich muß ja Gott danken, wenn ihr mir noch die Kleider auf dem Leibe laßt«, meinte die Großmama. Wirklich die drei Enkel hatten sie ganz ausgeraubt. Nichts war sicher vor ihnen, es hätte nicht viel gefehlt, dann hätten sie auch den guten Perser Teppich mit Beschlag belegt. Klaus stibitzte der Hanne unter den Händen das Friestuch zum Bohnern fort und behauptete nachher dreist und gottesfürchtig, es wäre schon zerrissen gewesen. Annemarie wurde vom Fräulein beim Kramen im Flickenkasten erwischt. Und als Fräulein einige Zeit später ein paar Hosen für Hans ausbessern wollte, fehlten natürlich die passenden Flicken. Die hatte das patriotische Nesthäkchen dem großen Wollsachenkorb einverleibt. Es war ja für die Truppen - für die lief Hans selbst mit einem abstechenden Flicken in den Hosen herum.
Dem Wildfang Annemarie war es jetzt ein Fest, dieses Herumtreiben in den Rumpelkammern und das Auftauchen längst vergessener Dinge. Hans und Klaus aber hatten auch tüchtig Arbeit während der Reichswollwoche. Sie und eine große Anzahl andere Jungen waren von ihrer Schule aus der Ehre teilhaftig geworden, mit einem Handwagen von Haus zu Haus zu fahren, und in jeder Wohnung die zusammengesuchten Wollsachen in Empfang zu nehmen. Immer drei Jungen zu einem Handwagen. Wer das den Primanern und Obersekundanern wohl jemals früher zugemutet hätte, einen Handwagen voller Lumpen auf der Straße zu ziehen, der wäre von ihnen nicht schlecht angesehen worden. Und jetzt - stolz waren die Herren Gymnasiasten darauf, die Wollsachen zu sammeln, aus denen Strickwolle zu warmen Sachen für die Truppen hergestellt wurde. Denn Englands Absperrung begann sich im Handel bemerkbar zu machen.
Annemarie war zum erstenmal in ihrem Leben mit ihrem Los nicht zufrieden. Ach, daß sie nicht auch ein Junge war! Wenn die Brüder großartig ihre Listen herauszogen, auf denen die Straßen, die ihnen für jeden Tag zugewiesen wurden, verzeichnet standen, dann fühlte sie sogar etwas wie Neid. Brennend gern wäre sie mit dem Handwagen herumgezogen.
»Kläuschen, liebes gutes Kläuschen, könntest du mich nicht ein einziges Mal mitnehmen?«, flüsterte Annemarie dem Bruder bittend zu, ehe er sich eines Nachmittags wieder auf die Wanderung begab.
Statt jeder Antwort tippte der Tertianer ausdrucksvoll gegen die Stirn.
Aber das hielt die Schwester noch lange nicht davon ab, ihn weiter mit ihren Bitten zu bombardieren.
»Ein einziges Mal ja bloß - ich schenke dir dafür auch den Kasten Konfekt, den mir Tante Albertinchen gestern mitgebracht hat.«
Das zog. Für Süßigkeiten war Klaus zu allem zu haben. Das wußte das Schlauköpfchen natürlich.
»Nee - es geht nicht«, sagte er schon etwas weniger abweisend. »Mädel können da nicht mit rumziehen, da schäme ich mich vor den andern Jungs.«
»Ach, Kläuschen, ich ziehe meine blauen Turnhosen an und dazu die gestreifte Matrosenbluse, und die Haare verstecke ich ganz unter der Matrosenmütze - da sehe ich bestimmt wie ein Junge aus. Nicht wahr, du nimmst mich mit, Kläuschen?« Annemarie vollführte bereits einen Luftsprung.
»Großmama wird's nicht erlauben - - -« wandte der Bruder, durch den lustigen Verkleidungsstreich halb, und durch Tante Albertinchens Konfekt ganz besiegt, noch ein.
»Ach, Großmuttchen schläft doch jetzt. Bis sie aufwacht, bin ich längst wieder zurück. Fräulein besucht ihren verwundeten Vetter im Lazarett, und Hanne läuft gerade nach Petroleum herum, das so knapp ist. Da merkt kein Mensch, daß ich weg bin. In fünf Minuten bin ich fertig -«, fort war sie bereits.
Es dauerte noch nicht mal so lange, da trat ein allerliebster blonder Junge wieder in das Zimmer, gegen den Klaus nichts mehr einzuwenden hatte.
»Die beiden Schulkameraden, die mit mir fahren, kennen dich nicht, ich sage einfach, ich habe meinen kleinen Bruder mitgebracht, vorwärts!« Unter Lachen und Kichern stürmten die zwei die Treppe hinab, wo bereits die beiden andern
Weitere Kostenlose Bücher