Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Titel: Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
Vom Netzwerk:
Loch im Magen, als wenn England Deutschland zu einem schmachvollen Frieden durch Aushungerung zwingt!« rief der Tertianer großartig, während seine Augen begehrlich an Schinken und Wurst hingen.
    »Na, dann iß wenigstens noch eine Schinkensemmel, wenn du keine Stulle mehr magst«, schlug im Großmama mit feinem Lächeln vor.
    In den braunen Jungenaugen blitzte es freudig auf. Aber »nee, nee - Semmel ist noch mehr Getreideverbrauch«, wehrte er ängstlich ab.
    »Weißt du, Klaus, man muß den Bogen nicht gleich zu straff spannen. Ich würde allmählich mit der Entbehrungskur beginnen«, es ist schwer für eine Großmutter, mit anzusehen, daß ihre Enkel nicht satt werden. »Heute ist du statt der sonstigen fünf Stunden nur vier, und morgen bloß noch drei. Dafür kocht uns die Hanne Kartoffeln«, damit reichte Großmama dem armen, hungrigen Klaus Brot und Aufschnitt hinüber.
    Großmama hatte wie immer recht. Klaus kaute mit vollen Backen. Nesthäkchen jedoch blieb allem Zureden ungeachtet fest, trotzdem ist auch ganz gern noch etwas gegessen hätte.
    Aber Annemarie hatte mit ihren Freundinnen gewettet, wer von ihnen es fertigbrächte, sich mit zwei Butterbroten des Abends zu begnügen; da mochte sie sich nicht ausstechen lassen.
    Als Fräulein spät in das Kinderzimmer trat, regte es sich noch in dem Bett unter dem Wittdüner Strandbild.
    »Nanu, Annemie, schläft du noch nicht?«, wunderte sich Fräulein.
    "Nee", das klang ganz mattherzig.
    »Ist dir was, Annemie?« forschte Fräulein besorgt.
    »Ja, ich habe Magenschmerzen«, kam es aus Nesthäkchens Bett betrübt die Antwort.
    »Magenschmerzen - du hast gewiß Hunger, Annemie!« Lachte Fräulein. »Das kommt davon, wenn man sich abends nicht satt ist.«
    »Aber der Herr Direktor hat doch gesagt, daß Deutschland ausgehungert werden soll - - -«
    »und da probierest du schon immer im voraus, wie das wohl ist.« Fräulein lachte noch mehr. »So hat das euer Direktor sicher nicht gemeint, Kind. Er hatte vor unnötigem Getreideverbrauch gewarnt, daß nichts vergeudet und nicht unmäßig gegessen wird. Deine drei Stüllchen kannst du dir ruhig noch schmecken lassen, Annemie.«
    »Meinst du wirklich, Fräulein?« Nesthäkchen war immer noch zweifelnd. Aber es griff doch tüchtig in die Keksbüchse hinein, die Fräulein herbei holte. »Sonst bist du morgen früh am Ende verhungert, wenn ich dich wecke, Annemiechen.«
    »Ach, liebstes, goldenes Fräulein, ich hatte ja solche Angst, daß ich am Ende verhungert bin, ehe Mutti zurückkommt. Aber jetzt ist mir schon viel besser, und die Magenschmerzen sind auch weg«, das gesättigte Nesthäkchen schlief nun endlich ein.
    Am anderen Tage in der Schule aber stellte Annemarie stolz fest, daß sie die einzige von ihren Freundinnen gewesen, die ihre Vornahme, sich mit zwei Butterbroten fürs Vaterland zu begnügen, durchgeführt hatte. Denn Keks war doch kein Getreideverbrauch.
    »Wer belegte Stullen zur Schule mitnimmt, ist unpatriotisch«, sagte Annemarie laut in der Zwischenpause mit einem deutlichen Seitenblick auf die allein in der Ecke stehende Vera.
    Die ließ ihr Wurstbrot, in das sie gerade einbeißen wollte, erschreckt sinken. Zu Hause aber bat sie die Tante himmelhoch, ihr doch bloß nicht mehr ‚belegt‘ zum Frühstück mitzugeben. Wie verächtlich Annemarie Braun sie wieder deshalb angesehen hatte.
    Die mitleidige Regung, die Annemarie am Weihnachtsabend gegen Vera verspürt hatte, war längst verflogen. Es ist nicht leicht, ein rollendes Rad zum Halten zu bringen. Besonders, wenn man selbst den Anstoß dazu gegeben hat, wie Annemarie mit der allgemeinen Ausschließung Veras. Sollte sie jetzt plötzlich gerade das Gegenteil davon tun, was sie den anderen geraten, und Vera nicht mehr aus ihrem Kreise ausstoßen? Nein, das hieß ja fünf eingestehen, daß sie damit unrecht getan hatte. Sich solche Blöße vor der ganzen Klasse geben - das ließ ihr Stolz nicht zu. Aber es war ein falscher Stolz, der Doktors Nesthäkchen zurückhielt, der guten Regung ihres Herzens zu folgen.
    Annemarie fühlte das selbst, denn ihr Gewissen machte sich öfters bemerkbar, wenn sie Veras traurigen Augen begegnete. Wenn sie dieselbe in den Pausen, wo alles fröhliche durcheinander schwatzte und tollte, so verlassen und gemieden sah. Aber Nesthäkchen beruhigte die lästige Stimme, die ihr zuflüsterte: »siehst du, das ist dein Werk«, mit einem trotzigen: »und sie ist doch eine Spionin!«
    Die Brotkarten waren eingeführt worden.

Weitere Kostenlose Bücher