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Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Titel: Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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steckten tuschelnd die Köpfe zusammen und sahen scheu nach links.
    Annemarie folgte der Richtung ihrer Blicke.
    Da saß auf der vorletzten Bank ein blasses Kind in düsteren Trauerkleidern. Schwarze Locken fielen auf das schwarze Kleid – Vera.
    Annemaries noch eben so fröhlich schlagendes Herz krampfte sich bei diesem Anblick schmerzlich zusammen. War Veras Onkel oder Tante gestorben? Es drängte sie, zu dem stillen bleichen Mädchen hinzueilen und sie zu trösten, aber ehe sie noch das letzte Restlichen falscher Scham in sich besiegt hatte, betrat bereits Herr Doktor Winter, der neue Ordinarius, die fünfte Klasse.
    Es fand heute noch kein Unterricht statt. Der Lehrer nahm nur die Namen seiner Schülerinnen auf, gab den Stundenplan und teilte die für das neue Schuljahr anzuschaffenden Bücher mit.
    »Annemarie Braun – Beruf des Vaters?«
    »Oberstabsarzt«, freudig stolz klang es.
    Nachdem Annemarie Braun noch verschiedene andere Fragen beantwortet, folgte ihr unmittelbar nach dem Alphabet Vera Burkhard.
    »Beruf des Vaters?«
    »Papa ist – tot.« Vera schlug plötzlich aufschluchzend beide Hände vor das blasse Gesicht.
    »Richtig – armes Kind!« Der Lehrer trat teilnehmend zu ihrem Platz und streichelte das weiche schwarze Haar. »Ich hörte bereits, daß dein Vater den Heldentod für unser Vaterland in der Karpathenschlacht erlitten. Du mußt stolz auf deinen Vater sein – wir aber, ich weiß mich da sicher eins mit der ganzen Klasse, wir wollen der armen Vera von Herzen den schweren Verlust tragen helfen.«
    Weiter ging es in der Schülerinnenliste. Beschämte Mädchengesichter neigten sich allenthalben tief über den Schultisch. Mitleidig verstohlene Blicke wanderten hier und da zu der blassen Vera.
    Auf dem zweiten Platz aber saß ein blondes Mädel, dem rollten die Tränen unaufhaltsam über die blühenden Wangen. Wo blieb Annemaries kleiner eitler Stolz? Wo ihre falsche Scham? Davon gespült wurden sie von ihren bitteren Reuetränen. Die, welche sie der Verachtung der ganzen Klasse preisgegeben, die sie als Spionin verschrien, hatte jetzt dem Vaterland das Liebste, was sie noch besessen, dahingegeben. Was wogen all die kleinen Opfer, die sie selbst getragen, gegen dieses gewaltige, schmerzliche?
    Als die Schulglocke die Stunde schloß, eilte Annemarie, ohne noch zu überlegen, zur vorletzten Bank. Ungestüm schlang sie ihre Arme um die zusammenzuckende Vera und küßte warmherzig ihre bleiche Wange.
    »Kannst du mir verzeihen, Vera, daß ich so schlecht zu dir gewesen bin? So schlecht – du weißt ja gar nicht, wie sehr! Es tut mir ja so schrecklich leid, und ich will alles wieder gut machen. Ich werde dich von nun an sehr lieb haben. Du sollst meine Freundin sein.« Unter Tränen flüsterte es Doktors Nesthäkchen!
    Da irrte wie ein Sonnenstrahl ein kaum merkliches Lächeln um den ernsten Kindermund, oder war das Lächeln nur in Veras großen blauen Augen, die sie dankbar zu Annemarie aufschlug? Still reichte sie der neuen Freundin, die ihr soviel Böses getan, die Hand.
    Aber auch die andern drängten sich jetzt herzu. Ebenso wie Annemarie Brauns schlechtes Beispiel die Mitschülerinnen gegen Vera eingenommen, folgten sie jetzt ihrem guten. Jede drückte der armen Vera die Hand, hatte den Wunsch, ihr irgend etwas zu Liebe zu tun, das Häßliche, das man ihr zugefügt, gut zu machen.
    Annemarie schnallte ihr die Mappe auf, Margot reichte ihr den schwarzen Hut. Dann nahmen die beiden Freundinnen die so lange Ausgestoßene in die Mitte. Arm in Arm, so schritten sie heimwärts.
    Das, was Vera viele Monate ersehnt, um was sie den lieben Gott jeden Abend gebeten, hatte sich erfüllt. Die Kinder behandelten sie nicht mehr abstoßend, alle waren sie nett zu ihr. Und Annemarie, zu der sie sich trotz ihres häßlichen Benehmens am meisten hingezogen gefühlt, war ihre Freundin geworden. Aber wie teuer war das erkauft! Noch vermochte sich Vera nicht über den Wechsel zu freuen.
    In der ersten Zwischenpause nach den Ferien erfüllte sich das Pfänderorakel: Annemarie Braun ging innig umschlungen mit der einst so verachteten ‚Polnischen‘.
    Als Doktor Braun wieder ins Feld hinaus mußte, hielt sein Nesthäkchen tapfer die fürwitzigen Tränen, die sich durchaus hervordrängen wollten, zurück. Sie dachte an Vera – nein, nicht weinen! Sie hatte nur Grund, dem lieben Gott dankbar zu sein.
     

Das Kriegskind
     
    Annemarie hielt Wort. Sie dachte stets daran, ihr Unrecht an Vera gut zu machen. In zarter

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