Nesthäkchen 05 - Nesthäkchens Backfischzeit
Einspruch.
Den ganzen Tag verfolgte sie der Gedanke, daß die arme Großmama von morgen ab frieren sollte. Wie fing man es nur an, Kohlen für sie zu erhalten?
Als Annemarie abends aus dem Gymnasium mit kältegeröteten Wangen zur Großmama heimkehrte, hatte dort ein zweiter Gast seinen Einzug gehalten: Tante Albertinchen mit Nachtjacke, Zahnbürste und Lockenwickler, mit Sack und Pack.
»Tante Albertinchen, du wagst dich bei achtzehn Grad Kälte aus deinem warmen Stübchen heraus? Du bist doch sonst nicht so unternehmungslustig«, machte das Backfischchen seiner Überraschung Luft.
»Ja, Kind, wenn ich ein warmes Stübchen gehabt hätte, kriegten mich keine zehn Pferde heraus. Aber ich friere schon seit drei Tagen, ich habe das Reißen in allen Knochen. Und weil ich weiß, daß Großmama ein leeres Bett für mich hat, habe ich mich zu der Übersiedelung hierher entschlossen. Ich ahnte ja nicht, daß das Bett schon besetzt sei und daß es hier ebenso hundekalt ist wie bei mir.«
»Hundekalt ... aber Tante Albertinchen, heute ist doch noch geheizt. Es ist doch ganz mollig hier.«
»Ja, aber morgen! Morgen werde ich hier genauso erstarrt sein wie zu Hause. Ach, wer mir das in meiner Jugend gesagt hätte, daß ich mal im Alter so frieren muß!«
Tante Albertinchens Kummer tat Annemaries liebevollem Herzen ganz schrecklich leid. Als sie nachts auf dem Sofa lag, denn das Bett hatte sie natürlich dem alten Tantchen mit den sorgsam aufgewickelten Locken abgetreten, zerbrach sich Annemarie den Kopf, woher sie wohl Kohlen für die beiden alten Damen auftreiben konnte. Bis in die Träume hinein verfolgte sie diese Unruhe. Aufgeregt warf sie sich auf dem ungewohnten Lager hin und her.
Bums ... ein lauter Knall ... erschreckte Ausrufe.
»Barmherziger ... sind das Einbrecher?« Tante Albertinchen flüsterte es angsterfüllt.
Auch Großmamas Herz hämmerte vor Schreck. »Kind, Annemiechen, was ist denn bloß passiert?« Mit zitternden Händen schaltete sie das Licht an.
Da saß Nesthäkchen im Nachthemd unten auf der Erde zwischen Sofa und Tisch und lachte ... lachte ...
»Was passiert ist, Großmuttchen? Ich habe geträumt, daß ich Kohlen für dich geholt habe. Eine ganze Kiepe voll. Aber plötzlich kam eine Elektrische, und ich wollte schnell auf die andere Seite, um nicht überfahren zu werden, und da ... da habe ich eine kleine Rutschpartie gemacht. Ach, ist das komisch ... ist das ulkig!«
Nesthäkchen hielt sich die Seiten vor Lachen.
»Also keine Einbrecher ... Gott sei Dank!« Tante Albertinchen beruhigte sich wieder.
Bei Großmama ging das nicht so schnell. »Hast du dich auch nicht verletzt, Annemiechen? Ist auch bestimmt nichts gebrochen?«
»Nein, aber bei der Rutschpartie habe ich sämtliche Kohlen, die ich für dich aufgetrieben hatte, wieder verloren ... so 'ne Gemeinheit!« Annemarie kroch zurück ins Bett. Doch so rasch schlief sie nicht wieder ein. Fauchen und Pusten kam alsbald von Tante Albertinchens Lager her, und auch aus der anderen Ecke, in der Großmama schlief, pfiff es melodisch. Das war ja ein nettes Schnarchduett! Annemarie kam nicht zur Ruhe. Der Gedanke verfolgte sie: Wo hatte sie die Kohlen, die sie so deutlich im Traum besessen hatte, bloß herbekommen?
Ach, am nächsten Morgen war keine einzige Kohle mehr in Großmamas Hause. Draußen war es ungemütlich kalt. Das Thermometer zeigte über zwanzig Grad Kälte an.
»Ei, Annemiechen, solche Nachtwanderung mache nicht wieder. Du hast mir einen schönen Schreck dadurch eingejagt. Ich konnte gar nicht wieder einschlafen«, ließ sich Großmama gähnend vernehmen.
»Aber Großmuttchen, du hast doch wie ein Dampfroß gepfiffen. Ein wunderschönes Schnarchkonzert hast du im Verein mit Tante Albertinchen zum besten gegeben«, rief die Enkelin lachend.
»Das muß Tante Albertinchen gewesen sein ... ich war bis zur Morgendämmerung munter.«
Tante Albertinchen aber behauptete, die ganze Nacht kein Auge zugemacht zu haben ... sie könne nun mal nur im eigenen Bette schlafen.
»Na, dann muß ich selbst so doll geschnarcht haben, obwohl ich ganz allein munter gewesen bin.« Das Backfischchen amüsierte sich gottvoll. »Ich will mal sehen, ob bei Burkhards die Zentralheizung schon wieder in Betrieb ist. Dann wärme ich mich dort auf und arbeite mit Vera zusammen.« Annemarie stülpte die Pelzmütze über das Blondhaar.
»Kind, du hättest im warmen Bett bleiben sollen. Das heißt Gott versuchen, bei solcher Kälte fortzugehen«, wandte
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