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Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest

Titel: Nesthäkchen 06 - Nesthäkchen fliegt aus dem Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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jetzt, wo ich endlich eine Wohnung in Lichterfelde erwischt hab'«, da meinte Annemarie kleinlaut, wie das sonst gar nicht ihre Art war: »Ich wollte dir den Rudi nicht nehmen, Ola, aber - vielleicht findest du einen Stellvertreter für die Wohnung.«
    Ola wurde rot und wandte sich schnell zum Balkon. Rudi jedoch rief: »Wegen der Wohnung laß dir nimmer graue Haare wachsen, Ola. Die übernehmen wir - spätestens im September ist Hochzeit! Denn eigentlich sind wir doch schon ein uraltes Brautpaar.«
    »Ich weiß gar nicht, ob mich Hanne zum September schon aus der Lehre entläßt«, wandte Annemarie noch lachend ein.
    Hanne war es ernst mit dem Versprechen, das sie dem jungen Herrn Doktor gegeben hatte. Sie nahm Nesthäkchen tüchtig heran. Da war kein Stück Braten, das Annemarie nicht selbst aufsetzen, keine Gans und kein Fisch, die sie nicht bei Hanne sezieren lernte.
    Mit aller Energie ging Annemarie daran, ihre hauswirtschaftlichen Lücken auszufüllen.
    Freilich kam es dabei auch vor, daß Hans und Klaus Gesichter schnitten, weil die Kartoffeln angebrannt waren, und daß sie der Schwester rieten, beim Kochen doch lieber eine Eisblase aufs Herz zu legen. Die Suppe war ständig versalzen.
    Annemarie schien den Salzverbrauch als Gradmesser ihrer Liebe zu betrachten.
    Am 30. September sollte die Hochzeit sein. O Gott, was gab es bis dahin noch alles zu besorgen.
    Obwohl Frau Braun behauptete, daß sie schon gar nicht mehr wisse, wo ihr der Kopf stehe, und obwohl ihr Mann in dem Chaos von neuen Haushaltsgeräten resigniert zu Annemarie meinte: »Ruhe wird nicht eher, als bis du, Schlingel, aus dem Hause bist«, sahen die Eltern mit Schrecken einen Tag nach dem andern entschwinden. Und die letzten Tage liefen ganz besonders schnell.
    Und schließlich kam doch der Tag, wo Großmama ihr silbergraues Damastkleid aus den Tiefen des Schrankes hervorzog und Tante Albertinchen das Lilaseidene.
    Wo Hanne sich die Haare mit der Tollschere kreppte und der Hausmeister Kulicke die roten Treppenläufer aus dem vierten Stockwerk, zur Bewunderung sämtlicher Kellerkinder der Umgegend, durch den Hausflur bis auf den Damm legte.
    Die Straße stand kopf. Alles, was in der Straße geboren war, was der Herr Doktor an Masern und Keuchhusten behandelt hatte, stand da schaulustig und erwartungsvoll, um Doktor Brauns Nesthäkchen als Braut zu bewundern. Kulicke hielt, wie ein Polizist, die Aufgeregten in Ordnung.
    Sie mußten sich lange gedulden, die Zuschauer. Nesthäkchen ließ mal wieder auf sich warten. Der Wagen mit Herrn Doktor Braun und Frau, die bewegte Gesichter machten, und den beiden jungen Herren, war bereits davongerollt. Der Brautwagen mit den hellen Polstern und dem livrierten Diener stand zur Bewunderung sämtlicher Kinder bereits seit einer Viertelstunde vor der Tür. Der Bräutigam, ein schlanker Herr mit einem Riesenstrauß weißer Blumen, hatte durch das Kreuzfeuer sämtlicher neugieriger Blicke Spießruten laufen müssen.
    Wo blieben sie denn bloß? Das Publikum wurde ungeduldig. Doktor Brauns Nesthäkchen versäumte sicher seine eigene Trauung. Da plötzlich kam Leben in die der Haustür am nächsten Stehenden. Man reckte die Köpfe. Kulicke lief aufgeregt hin und her.
    »Sie kommen!« Von einem zum andern pflanzte es sich fort.
    Weiße Seide floß wie Silberwellen über den roten Teppich. Ein reizendes, liebliches Mädchenantlitz, von Schleiertüll umwogt, wurde endlich sichtbar.
    »Hundetöle - willste wohl von meiner Schleppe runter!«
    Unter diesen an den sich wie sinnlos gebärdenden Puck gerichteten Worten bestieg Nesthäkchen mit strahlendem Gesicht den Brautwagen.
    Fort rollte er, der unweit gelegenen Gedächtniskirche zu. Dort war alles längst versammelt - nur das Brautpaar fehlte noch. Mutters Augen wurden von Minute zu Minute unruhiger. Wo denn bloß ihre Lotte blieb? Vater zog die Uhr. Großmama ahnte ein Unglück. Am wenigsten machten sich noch die Brautjungfern über das Ausbleiben des jungen Paares Gedanken. Die Freundinnen kannten Nesthäkchens Unpünktlichkeit noch von der Schulzeit her.
    Doch jetzt begann die Orgel zu spielen, das Brautpaar betrat die Kirche. Nein, solch eine vergnügte Braut hatte man noch nie gesehen. Nicht einmal beim Ringwechsel hatte sie geweint. Besonders Tante Albertinchen, die in Tränen zerfloß, konnte das gar nicht begreifen.
    Wie im Traum zog alles an Nesthäkchen vorüber: Orgelklang, Kerzengeflacker, die Ansprache des Geistlichen, das »Ja«, das sie zu sprechen hatten,

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