Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
heimkommen. Kein Wurm schreit uns vernachlässigte Mutterpflichten in die Ohren«, stimmte Ilse lebhaft bei.
»Ist das deine wahre Meinung, Ilse?« Man hatte es den lustigen Augen von Klaus niemals zugetraut, daß sie so ernst zu fragen verstünden.
»Aber natürlich! Du denkst wohl, wir Frauen von heute warten noch auf den Mann wie die von Anno dazumal? Da bist du schiefgewickelt. Wir freuen uns unserer Unabhängigkeit.«
»So ... hm ... da habe ich mich geirrt.« Worin er sich geirrt habe, ob in der modernen Frau oder in Ilse, das ließ Klaus offen.
Eine fröhliche Tafelrunde war'sdie sich in dem gemütlichen Speisezimmer mit den hellen Eichenmöbeln um den Tisch scharte. Man saß sehr eng, was zur Stimmung noch beitrug. Der Großvater hatte es für die bettelnden Kleinen bei den Eltern durchgesetzt, daß sie bis nach dem Essen aufbleiben durften. Das heißt, Klein-Ursel, die am wenigsten ins Bett gewollt hatte, lag auf dem Tigerfell nebenan vor Rudis Schreibtisch in süßem Schlummer. Ganz plötzlich hatte der Sandmann sie überrumpelt. Ein liebliches Bild war es - Vera konnte sich daran nicht satt sehen. »Weißt du, Annemie, so möchte ich ihrr fotogrrafierren, die kleine Ding«, meinte sie. »Dazu kann dir verholfen werden, Verachen. Wir beabsichtigen dich nächstens in deinem Atelier zu überfallen. Urmütterchen feiert im Januar den siebzigsten Geburtstag ... wir besprechen das ein anderes Mal. Sie hat trotz ihres Alters noch erstaunlich gute Ohren.«
Wirklich, Großmama war aufmerksam geworden.
»Was führt ihr da gegen mich im Schilde, Annemiechen?« fragte sie mit ihrem lieben Lächeln.
»Das wird nicht verraten, Großmütterchen. Ein Geheimnis ... du bist noch zu jung dazu. Erst, wenn du siebzig bist, darfst du es erfahren.«
Hansi, der zwischen Omama und Opapa eingeklemmt saß, ließ sich von den Großeltern abwechselnd gute Häppchen zuschieben. Man sah ja auch, wo es blieb. Nur an Hannes Roastbeef, das allgemein begehrt war, fand der kleine Nimmersatt kein Wohlgefallen. Er kaute so lange darauf herum, bis er zur allgemeinen Erheiterung das abgelutschte Stück schließlich dem Opapa freigebig auf den Teller legte: »Da-die Wust kaut niß.« Peter Frenssen war ein netter Tischherr. Er war lange nicht so lebhaft wie Klaus und nicht so unterhaltend. Ernst und überlegt war er und etwas schwerfällig in der Ausdrucksweise. Aber was er sagte, hatte Hand und Fuß. Er verstand es sogar, Margot, die noch immer eine gewisse Schüchternheit nicht überwinden konnte, obwohl sie jetzt einem großen Kunststickerei-Atelier vorstand, aus ihrer Schüchternheit hervorzulocken. Das Gespräch pendelte zwischen Wollstickereien und landwirtschaftlichem Betrieb hin und her, und schließlich war man bei Stickereimustern angelangt, die der Natur entlehnt wurden. Es wurde eine recht muntere Unterhaltung.
An seiner anderen Seite hatte Annemaries Vetter eine wortkarge Nachbarin, Ilse Hermann, Fräulein Studienassessor. Und ihre Kusine, Marlene Ulrich, erschien ihm eigentlich noch unnahbarer. Schon die Anrede »Fräulein Doktor« war ihm ungeläufig und unbehaglich. Sie schien soweit ja ganz vernünftig zu sein. Ihre Unterhaltung mit Klaus bewegte sich nicht auf der Basis des lustigen Herumulkens, wie Klaus das den Jugendfreundinnen gegenüber nur zu gern tat, sondern drehte sich um nationalökonomische Dinge. Wenn er doch einmal mit mir so reden würde, dachte Ilse. Für mich hat er nichts als dumme Neckereien. Mich nimmt er nicht ernst. Jetzt endlich sollten die Kinder ins Bett. Annemarie hatte ihr schlafendes Nesthäkchen bereits ins Schlafzimmer gebracht.
»Tante Ilse soll mitkommen!« Ilse Hermann war ganz besonders beliebt in der Hartensteinschen Kinderstube.
Ilse begrüßte Vronlis Bitte wie eine Erlösung.
Aber auch Hansi hatte seine Wünsche, obwohl ihm die Augen fast zufielen. »Onkel Tlaus soll mit.« So kam es, daß an einem Kinderbettchen Ilse mit Vronli betete, während an dem andern Onkel Klaus dem dicken Hansi noch flink Kobolzschießen beibrachte.
Wie liebevoll Ilse Hermann mit dem Vronli zu sprechen verstand. Und der sollte es damit ernst sein, daß sie froh war, weder Mann noch Kinder zu haben, daß sie sich ihrer Unabhängigkeit freute?
»Na, Ilschen, wollen wir uns wieder vertragen?« fragte Klaus, als beide zum Wohnzimmer zurückschritten. »Wenn du hübsch abbittest, sollen dir deine unüberlegten Äußerungen verziehen sein.«
Er machte sich schon wieder über sie lustig. Zu Marlene würde er
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