Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
niemals so sprechen. Diese letzte Überlegung machte Ilses Ton wieder schärfer, als dies sonst wohl der Fall gewesen wäre.
»Laß deine kindischen Bemerkungen! Du scheinst nur noch an den Verkehr mit Bauernmädeln gewöhnt zu sein.«
»Du überschätzt mich, kleine Kratzbürste. Ich verkehre jetzt nur noch mit Rindviechern und Gänsen.« Klaus belustigte sich innerlich über die »kleine Kratzbürste«. Drinnen war man inzwischen zur Musik übergegangen. Tante Albertinchen, die im Lehnstuhl ein kleines Nickerchen machte, flötete in holden Schnarchtönen. Rudolf saß am Klavier und begleitete seine Schwester Ola, die das Beethovensche Lied »Ich liebe dich, so wie du mich« mit weicher Altstimme sang. Da trat Ilse plötzlich mit Tränen in den Augen auf den Balkon hinaus, weil die Worte des Liedes sie aufgerührt hatten.
»Jone doch, hab' ich ma aber verschreckt! Sind Se mondsichtig, Fräulein Ilseken, oder valiebt?« Hanne, welche die Speisenreste auf der Veranda kühl aufbewahren wollte, fuhr entsetzt zurück. »Kommen Se man wieder mit rin in de jute Stube. Es is ieberhaupt Zeit, daß wa uns uff de Sockens machen. Doktors brauchen Ruhe. Was er is, rennt so'n janzen Tag in Praxis rum. Und was unse jnädije Frau Großmamachen is, is heit ooch keen junget Ding nich mehr. Flora'n hab' ick ooch schon 'n paarmal munter jerittelt, die klappt wie 'nSchellfisch mit de Oogen mitten bei' sAbdrocknen. Ick jeh jetzt ... nu is jenug mit de Musike!« Letzteres verkündete Hanne laut und ungeniert mitten hinein in den »Wanderer«, den Rudolf soeben sang. »Wenn ich den Wanderer frage, wo gehst du hin? Nach Hause ... nach Hause ...«
»Jawoll, Herr Dokter, wa jenen ja schon nach Hause. Hier bring' ick bereits de Sachen.« Rudolf konnte vor Lachen nicht weitersingen.
Annemarie schimpfte lachend, daß Hanne ihr die Gäste vertriebe. Aber Großmama war in der Tat kein junges Ding mehr und hatte noch einen Weg von einer Stunde vor sich. So machte man sich wirklich »auf die Socken«. Rudolf und Annemarie gaben den lieben Gästen wie stets das Geleit bis zur Straßenbahn.
Klaus ließ es sich nicht nehmen, Ilse und Marlene nach Hause zu bringen, während Peter Vera und Margot begleitete.
Marlene und Klaus trugen die Unterhaltung. Ilse ging schweigsam nebenher. »Schläfst du schon, Ilse?« Marlene gab ihr einen aufmunternden Puff. »Laß mich ... ich bin abgespannt!«
»Ich habe das Pech, bei Fräulein Studienassessor heute ein schlechtes Zeugnis zu bekommen«, zog Klaus sie auf. »Aber wenn ich erst das Gut habe und die Kuh ... die Frau ist nicht unbedingt nötig ... lade ich euch mit Annemarie zusammen für die Sommerferien ein. Dich, Marlene, und deinen getreuen Schatten.« »Ich will keinen Schatten auf euren Weg werfen ... gute Nacht!« Da hatte Ilse auch schon die Haustür aufgeschlossen und ebenso schnell wieder zugeschlagen. Sie hörte noch Marlenes erstauntes: »Ja, was hat denn die Ilse heute bloß?« und das Lachen von Klaus: »Kleine Kratzbürste!«
Die Unzertrennlichen
Ilse erwachte am nächsten Morgen mit schmerzendem Kopf. Sie hatte schlecht geschlafen, war ein paarmal im Traum die Treppe hinuntergefallen und immer wieder emporgeschreckt.
Was war denn gestern eigentlich los gewesen? Sie konnte sich zuerst gar nicht besinnen. Ja, richtig, sie hatte sich mit Klaus Braun herumgekabbelt. Das war eigentlich nichts Neues. Seit ihren Kindertagen pflegten sie das zu tun. Als sie dann mit blonden Zöpfen in die Tanzstunde ging, war Klaus ihr Tänzer. Aber lustige Katzbalgereien gab es auch da noch zwischen ihnen. Eigentlich immer - bis auf den gestrigen Tag. Wenn er auf Besuch nach Berlin kam - er saß schon jahrelang als Domänenpächter irgendwo im Norden - dann hatte er sich ganz besonders gern mit ihr herumgeneckt. Sie war auch immer auf seinen harmlos lustigen Ton ebenso lustig eingegangen und ihm keine Antwort schuldig geblieben, aber stets in aller Freundschaft.
Was war denn bloß gestern in sie gefahren, daß sie so abweisend und schroff gegen Klaus gewesen war? Sie hatte sich doch gefreut, als sie ihn plötzlich an der Haltestelle auftauchen sah, als sie ihn nach langer Zeit unvermutet wieder erblickte. Ja - jetzt besann sie sich. Sie hatte ihn ganz flüchtig begrüßt, und sich schnell an Frau Brauns Seite gepirscht. Und dabei hatte sie sich heimlich geärgert, daß er nun lebhaft plaudernd mit Marlene hinterdrein kam. Ja, sie hatte es Marlene, ihrer Unzertrennlichen, nicht gegönnt. Nur mit einem Ohr
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