Nesthäkchen 07 - Nesthäkchen und ihre Küken
und war glücklich, daß sie ihre Schuhe schonen konnte und keine Strümpfe zerriß. Jeden Morgen, Punkt halb neun, traf man aus Lüttgen- und aus Grotgenheide auf der Kieferschonung, wo die Wege sich gabelten, zusammen. Das gab dann jedesmal ein Freuen und eine herzliche Begrüßung, als ob man sich nach Jahren irgendwo zufällig träfe. Und dabei hatte man sich doch erst abends spät getrennt. Denn Lüttgenheide und Grotgenheide waren eins. Kein Mensch konnte sagen, wo eigentlich die Grenze sei. Selbst die Besitzer waren sich darüber nicht ganz klar, wenigstens schwankten die Angaben zwischen dem Vergißmeinnichtbach, dem Erlengrund und der Füllenkoppel hin und her. Seitdem Ilse Hermann sich ein Fahrrad geliehen hatte, war sie im Nu in Lüttgenheide. Zur Freude der Kinder und des Onkels tauchte sie ganz plötzlich dort auf und packte überall mit an, wo es gerade not tat. War es nun beim Gemüseputzen, beim Obsteinkochen oder bei der großen Wäsche, die auf dem Rasenplatz zur Bleiche gebracht werden sollte. Es machte ihr ungeheuren Spaß, sich in dem ländlichen Betrieb zu betätigen. Wenn sie an ihren graugetünchten Klassenraum mit den fünfzig Schülerinnen zurückdachte, dann hatte sie die Empfindung eines Vogels, der für kurze Zeit die Gitterstäbe seines engen Käfigs durchbrochen hatte und wieder eingefangen werden sollte. Aber sie wollte nicht an das Nachher denken. Nein! Noch waren lachende Sonnentage! Sie machte es wie die vielen, vielen kleinen Luftbewohner, die unbekümmert im Sonnenstrahl umherschwirrten und nicht an das Morgen dachten. Wie die Kinder, die nur dem Augenblick lebten und bereits eine ganze Menagerie gesammelt hatten: drei junge Hunde, zwei Kätzchen, ein halbes Dutzend Tauben, ein junges Ferkelchen, ein neugeborenes »süßes« Kalb und ein Füllen. Die Kinder machten sich keine Gedanken darüber, ob dies alles in den großen Koffer gepackt und mit nach Lichterfelde heimreisen würde. Das Nachher kam noch früh genug.
Der Herr von Lüttgenheide dachte, entgegen seiner sonstigen unbekümmerten Art, um so mehr an das Nachher. Sobald er Ilses Blondkopf im Garten, in der Heide, in den Feldern oder am Meeresstrand auftauchen sah, nahm er sich vor, nun ein endgültiges Wort mit ihr zu sprechen. Aber Ilse machte ihm dies jedesmal unmöglich. Stets hatte sie mindestens zwei Gören an ihrem Arm; allein bekam man sie überhaupt nicht mehr zu fassen. Dabei hatte sie ein ganz anderes Benehmen ihm gegenüber. Übermütig und unbefangen war sie - selbst das Erröten hatte sie sich abgewöhnt. Woran lag das bloß, daß Ilse sich jetzt so unbefangen, so ausgelassen überlegen ihm gegenüber zeigte? Oh, Ilse wußte ganz genau, wie es um Klaus stand. Denn ein Schauspieler war er sein Lebtag nicht gewesen. Und es machte ihr ungeheuren Spaß, ihn jetzt zappeln zu lassen. Auf Marlene war sie längst nicht mehr eifersüchtig. Es sah ja ein Blinder im Stockdustern, wen Klaus liebte. Marlene war in Grotgenheide beliebt und verehrt, auch das wußte Ilse. O Gott, was gab sich Fräulein Doktor für Mühe, Peter von ihren hauswirtschaftlichen Kenntnissen zu überzeugen. Sie, die früher nie besonders viel für hauswirtschaftliche Tätigkeit übrig hatte, schien plötzlich ein ungeheures Interesse am Buttern, am Milchertrag und der Aufzucht des Jungviehs und an dem Hühnerhof mit seinen bunten Insassen zu nehmen. Eigentlich war es nicht nett von Ilse, daß sie die Kusine dauernd damit aufzog, ob sie das alles nur aus naturwissenschaftlichem Interesse täte.
»Gäste, die die Hände in den Schoß legen, kann man auf einem Gut nicht gebrauchen«, hatte Marlene lachend geantwortet. »Und sich in Grotgenheide füttern zu lassen und den ganzen Tag in Lüttgenheide zu stecken, das ist nicht jedermanns Geschmack.« So, da hatte Ilse auch ihr Fett.
Aber zu ernsthaften Kabbeleien zwischen den Unzertrennlichen kam es nie. Man stand früh auf an der Waterkant. Um halb sieben traf man, bis auf vereinzelte Langschläfer, schon auf beiden Gütern zum ersten Frühstück zusammen. Marlene, die an und für sich die Ferien gern zum Faulenzen benutzte, setzte ihre Ehre drein, stets pünktlich am Frühstückstisch zu sein. Da kam Peter Frenssen schon von seinem Frühritt auf die Felder zurück und sah mit frohen Augen zu, wenn Marlene den Kaffee eingoß und die Schinkensemmeln zurechtmachte. Diese Arbeit hatte sie »Tante Kätchen«, so hieß Peters Mutter allgemein, ein für allemal abgenommen. Seine Schwester Elli war dann
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