Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
Muttchen.«
»Ja, von euch läßt sich niemand in Charlottenburg blicken. Dein Mann ist der einzige, der noch hin und wieder mal nach mir sieht«, meinte Frau Braun halb scherzhaft, halb im Ernst.
»Bei uns ist es jetzt so schön draußen, man mag gar nicht aus seinem Garten fort. Es ist viel richtiger, du kommst zu uns und genießt hier den Frühling.«
»An Charlottenburg ist der Frühling auch nicht vorübergegangen, Annemarie. Wenn er mich auch vielleicht nicht mehr zu finden weiß.«
»Komm, Omama, du mußt dich hier in meinen Faulenzerstuhl legen, da genießt man doppelt.« Ursel wollte keine Traurigkeit bei der Großmama aufkommen lassen.
»Nein, mein Herzchen, ein Korbsessel ist mir angenehmer. So, danke schön, Hansi. Hier sitzt es sich wirklich schön.« Die matten Augen der alten Dame belebten sich, als sie in das Blühen ringsum schaute.
»Gelt, Mutterle? Wie haben wir das für dich hergerichtet? Die Annemie war die ganze Woche schon in Aufregung, ob Goldlack und Flieder auch ihrem Befehl, zum Sonntag zu blühen, nachkommen würden. Aber die haben ebensolchen Respekt vor ihr wie ihr armer Ehemann.« Es war Rudi wieder mal gelungen, die alte Dame in bessere Stimmung zu bringen.
»Und mein Urselchen will gar nichts mehr von ihrer alten Omama wissen? Hanne sagte erst gestern: Unsere Kinderchen finden überhaupt den Weg nicht mehr zu uns Alten.« »Berufspflichten, Omama.« Ursel machte ein drollig wichtiges Gesicht. »Augenblicklich ist viel los an der Börse. Da ruht natürlich alles auf den Schultern eines geplagten Banklehrlings.«
»Adressen schreibt sie, und Dummheiten treibt sie«, warf Hans trocken dazwischen. »Richtig, mein Urselchen ist ja inzwischen in Amt und Würden. Na, gefällt es dir denn dort, mein Kind?« erkundigte sich die Großmama, ihren Liebling zärtlich auf den Stuhl neben sich ziehend.
»So gut, daß ich bei der nächsten Gelegenheit wieder auskneife. Vorausgesetzt, daß ich nicht schon früher an die Luft gesetzt werde. Ach, Omamachen, ich sage dir, Zuchthausarbeit ist ein Vergnügen gegen dieses stumpfsinnige Adressenschreiben.« »Nun - nun, mein Herzchen, wenn die Leute erst sehen, was sie für eine Kraft an dir haben, werden sie dich schon zu interessanterer Tätigkeit heranziehen. Aller Anfang ist schwer.« »Das Ende ist leider noch viel schwerer als der Anfang, da es noch gar nicht abzusehen ist«, seufzte die Enkelin.
»Du, Ursel, laß das den Vater nicht hören. Du weißt, er wird ärgerlich, wenn du derartig abfällige Bemerkungen über die Bank machst, wo dir jeder nett entgegenkommt«, warnte die Mutter, »sonst wackelt die Gesangstunde morgen.«
»Die steht bombenfest. Eher wird die Bank in die Luft gesprengt. Omama, morgen bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Frau Gerstinger hat mich als Schülerin angenommen.« »Also doch! Hat's also doch durchgesetzt, das Urselchen. Es wäre auch schade um ihre Stimme.« Keine war begeisterter von den Vorzügen der Enkelin als die Großmama. »Übrigens, ich habe jetzt auch Konzerte im Hause. Wir haben diese Woche neue Pensionäre bekommen.«
»Der Tausend! Und das erzählst du erst jetzt. Also nun berichte, Muttchen; Ursel, du kannst inzwischen nach dem Tisch sehen; Hansi, Omama nimmt es dir nicht übel, wenn du deine Rosen weiterpfropfst. Ich will die Omama erst mal ein bißchen für mich haben«, sagte Frau Annemarie energisch.
»Nee, erst will ich wissen, was das mit der Hausmusik für eine Bewandtnis hat.«
Ursel rührte sich nicht von der Stelle. »Hast du Künstler ins Haus bekommen, Omama?«
Ihre Aufmerksamkeit war geweckt.
»Nun, möglichenfalls angehende. Bruder und Schwester. Ganz exotische Herrschaften aus Brasilien. Der Vater soll dort einer der reichsten Kaffeekönige sein. Sie sind mir warm empfohlen worden. Der junge Mann wird ebenfalls mal Plantagenbesitzer, aber will hier ein paar Jahre das deutsche Geschäft und vor allem deutsche Musik studieren. Er ist ein guter Geiger. Diese Leute können sich eben alles leisten, jeder Laune nachgeben.« »Die Beneidenswerten!« Aus tiefstem Herzen kam es der Ursel.
»Meinst du wirklich, Urselchen? So weit fort von der Heimat, von den Eltern und all ihren Lieben. Vielleicht findet dich das junge Mädchen viel beneidenswerter, daß du daheim in deinem Elternhaus bleiben kannst«, stellte ihr die Großmutter vor.
»Glaub' ich nicht. Aber erzähle doch weiter, Omamachen. Wie heißen sie? Wie sehen sie aus? Wie alt sind sie? Studiert das junge Mädchen auch
Weitere Kostenlose Bücher