Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
das nächste Mal auftritt, da hat sie mich ausgelacht. Sie sei noch gar nicht ausgebildet, sagte sie, das sei doch alles nur Zukunftsmusik.« »Bescheidenheit, pure Bescheidenheit. Sie will ihr Inkognito gewahrt sehen. Verlassen Sie sich darauf.«
Ursel ahnte nicht, daß Frau Fama, die geschwätzige, sie bereits in eine Primadonna verwandelt hatte. Die Erkundigungen der Kollegen betreffs ihrer Opernlaufbahn hatte sie für Scherz und Neckereien genommen und war voll Übermut darauf eingegangen. Augenblicklich beschäftigte sie sich damit, festzustellen, daß der kleine Goldzeiger an der Armbanduhr, die sie von der Großmama zum letzten Geburtstag erhalten hatte, nicht von der Stelle wollte. Himmelbombenelement - kam denn nichts, um sie aus diesem Stumpfsinn zu erlösen?
Da - ein Kratzen an der Tür - ein herzzerbrechendes Winseln. Ursel machte ein spitzbübisches Gesicht. Das kannte sie. Einer öffnete die Tür, um zu sehen, was es gäbe. Und da kam es auch schon hereingestürmt, hellbraun und weißgefleckt, ein Riesenköter - mit lautem Freudengebell raste er an all den Schreibpulten vorüber, riß Herrn Müller fast von seinem Stuhl, daß seine Brille bedenklich ins Wanken kam, und stürzte sich auf den jüngsten Banklehrling. Das Tintenfaß flog um und ergoß seine düsteren Fluten über Ursels in stundenlanger Pein fabrizierten Briefe. Die hielt sich die Seiten vor Lachen, während Cäsar kläffend die glücklich Aufgefundene umkreiste. Lachend drängten sich die Damen und Herren hinzu. Einen so fidelen Tag hatte die Bank bisher noch nicht zu verzeichnen gehabt. Herr Müller aber, der Abteilungschef, war sich seiner Würde durchaus bewußt. »Ich muß doch sehr um Ruhe bitten«, sagte er zu Cäsar gewandt.
Der hatte wenig Verständnis für Herrn Müllers ausgesuchte Höflichkeit. Nur um so lauter blaffte er.
»Fräulein Hartenstein, wenn ich bitten darf, ist das Ihr Hund?« »Ja, aber natürlich.«
Nun, so natürlich fand das Herr Müller durchaus nicht, daß man solch eine Riesenbestie ins Büro mitbrachte. Aber Künstlerinnen waren ja oft überspannt.
»Fräulein Hartenstein, in Anbetracht der wiederherzustellenden Ordnung und Ruhe hier halte ich es für das beste, wenn Sie für heute Schluß machen. Die Briefumschläge sind ja nun doch verdorben.« Er wiegte bedauernd sein Haupt. »Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, mit Ihrem Hund nach Hause zu gehen.«
Oh, Herr Müller brauchte durchaus nicht zu bitten. Mit erleichtertem Blick auf die unerledigten Briefe erhob sich Ursel. »Mach schon, Cäsar.«
»Fräulein Hartenstein - Fräulein Hartenstein -« Herrn Müllers Stimme hielt die spornstreichs zur Tür Eilende auf. »Ich darf Sie noch bitten, Ihre Siebensachen zu verschließen. Die Damen und Herren machen stets vor Schluß auf ihrem Schreibtisch Ordnung.«
Ursel erinnerte sich daran, daß Mutti daheim sie auch stets zum Aufräumen zurückholen mußte. So gut es bei der Tintenüberschwemmung ging, kam sie seinem Wunsch nach. Und nun stand sie endlich mit dem blaffenden Cäsar draußen.
Maisonntag
Am Sonntag war Familientag draußen in Lichterfelde. Schon seit Jahren! Wer von den Verwandten und Freunden sonntags nichts Besonderes vorhatte, der fuhr zu Professors hinaus. Dort war man stets willkommen und war sicher, ein paar nette, anregende Stunden zu verleben. Im Winter wurde musiziert, im Sommer bildete der herrliche Garten mit seiner Rosen- und Beerenfülle den Anziehungspunkt. Aber durchaus nicht den stärksten; der stärkste war und blieb die anmutige Wirtin, die in ihrer herzenswarmen Art es jedem Gast behaglich zu machen wußte.
»Die Omama - die Omama kommt!« Wie früher als Kind rannte Ursel den Gartensteig entlang, der Omama entgegen. Auch Hans ließ seine Rosenbäumchen im Stich, um die liebe alte Dame feierlich einzuholen.
»Grüß Gott, Schwiegermutter.« Der Professor schwenkte erfreut seine Mütze. An Frau Braun waren die Jahre durchaus nicht spurlos vorübergegangen. Sie war seit dem Tode ihres Mannes eine alte Frau geworden. Weißes Haar hatte sie eigentlich, solange Annemarie zurückdenken konnte. Schon damals, als sie zu Anfang des Krieges aus England heimkehrte, wo man sie interniert hatte.
»Guten Tag, Omama, gib mir deine Handtasche. Willst du meinen Arm nehmen?« An der einen Seite die Ursel, an der anderen den Hans, so wurde Frau Braun im Triumph der ihnen freudig entgegenkommenden Annemarie zugeführt. »Die ganze Woche haben wir uns nicht gesehen,
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