Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
»Grüß Gott, Frau Töpfer. Gut schaust halt aus. Grüß dich Gott, Margot. Wenn ihr euch nicht beeilt, macht die Jugend unbarmherzig dem Kuchen den Garaus.«
»Guten Tag, Frau Braun, das freut mich, daß ich die ganze liebe Familie hier beisammen erwische«, begrüßte Frau Vera inzwischen die alte Dame.
»Ja, soweit sie noch beisammen ist, Vera. Es hat sich manches verändert in den Jahren, wo wir uns nicht gesehen haben«, meinte Frau Braun wehmütig.
»Freilich -« Veras Auge flog von dem schicksalsgezeichneten Gesicht der Mutter zu dem Sohne, der sein Lebensglück so früh hatte hingeben müssen. Vollständig grau war er geworden, der Amtsgerichtsrat Braun.
»Guten Tag, Hans, wie geht es denn dir?« fragte die Jugendfreundin teilnehmend.
»Wie soll es mir gehen, Vera? Schlecht. In meinem Haus geht es drüber und drunter. Man versucht, mit dem Leben, so gut es geht, fertig zu werden.«
»Nun, du hast doch deine Sprößlinge, für die du lebst. Die zwei sind es - stimmt's? Der Jüngere sieht der Mutter ähnlich. Und das hier sind die Hartensteinschen Küken? Himmel - Annemie, sind wir denn wirklich so alt geworden? Der Junge schaut dem Klaus lächerlich ähnlich. Und die Ursel, die hätte ich unter Tausenden heraus erkannt. Komm, Ursel, du mußt einen Kuß haben. Grad' so hat deine Mutter ausgeschaut damals in seligen Backfischtagen.«
»Aus den Backfischtagen bin ich denn doch schon heraus«, erhob Ursel Einspruch. »Wenn du dies noch betonst, zeigst du am besten, daß du noch mit beiden Füßen drin stehst, Urselchen«, neckte sie Tante Margot.
»Ursel, hole heißen Kaffee für Tante Margot und Tante Vera«, ordnete die Mutter an.
»Hansi, ach, klingele doch mal«, gab Ursel den Befehl an den Bruder weiter.
»Das hätte ich dem Hansi auch selber sagen können, Ursel.« Die Wiedersehensfreude bewahrte Ursel vor einem mütterlichen Verweis. »Mein Fräulein Tochter braucht Bedienung hinten und vorn. Seid ihr auch solche Faulpelze, Ruth und Edith?«
»Ich habe leider kaum Zeit, mich zu betätigen, Frau Professor«, meinte Ruth.
»In einer fremden Pension ist das auch nicht angebracht.«
»Und ich drücke mich auch ganz gern vor Hausarbeit«, gab Edith zu. »Es gelingt mir nur leider nicht in unserm großen Haushalt.«
»Nun, ich glaube, die Tochter von Annemarie ist sicher mit wirtschaftlicher Tüchtigkeit von ihrer Mutter erblich belastet.« Frau Vera zwinkerte über ihre Kaffeetasse hinweg der Freundin vergnügt zu. »Was warst du als junges Mädchen tüchtig!« »Ist ja gar nicht wahr, Tante Vera«, rief Ursel lachend. »Mutti hat es mir selbst erzählt, wieviel Lehrgeld sie später in der eigenen Häuslichkeit hat zahlen müssen. Sie stellt sich mir selbst stets als warnendes Beispiel hin. Aber bange machen gilt nicht - ich heirate überhaupt nicht!«
»Das haben schon andere Mädel in deinem Alter gesagt, Ursel.«
»Du auch, Tante Vera?« Mit neugierigen Augen musterte Ursel die noch heute schöne Frau mit dem regelmäßigen Profil und dem schwarzen Haar, durch das sich hier und da feine Silberfäden zogen. »Du mußt doch schrecklich alt gewesen sein, als du geheiratet hast -« Alles lachte, Frau Töpfer am meisten.
»Aber Ursel, von Takt hast du wohl noch nie was gehört.« Der Vater klopfte belustigt seiner Jüngsten die rosige Wange.
»Na, es stimmt doch«, verteidigte sich Ursel. »Tante Vera muß doch mindestens schon ...« sie begann zu rechnen.
»Das muß mathematisch ausgerechnet werden, Ursel, dabei erleidest du doch wieder Schiffbruch«, unterbrach sie der Bruder.
»Kinder, laßt mir meine Ruh'«, rief Frau Vera, sich lachend die Ohren zuhaltend.
»Wenn ich meinem Mann nicht zu alt gewesen bin, werdet ihr es ja auch in Kauf nehmen können. Die Ursel ist noch derselbe drollige Frechdachs wie früher.«
»Ja, ich weiß wirklich gar nicht, auf wen das Mädel kommt«, seufzte Frau Annemarie in komischer Verzweiflung.
»Aber ich!« Wie aus einem Munde sagten es Margot und Vera, was natürlich wieder allgemeine Heiterkeit auslöste.
»So arg habe ich es nie getrieben -« widersprach Annemarie. »Na - na!« Allgemeine Ungläubigkeit.
»Wie die Alten sungen - zwitschern die Jungen -, das ist nun mal eine unumstößliche Wahrheit, Annemarie.« Der Amtsgerichtsrat war heut zum ersten Mal, seit dem Heimgang seiner Frau, weniger ernst und wortkarg.
»Deine Jungen zwitschern überhaupt nicht. Die machen den Schnabel nur zum Futtern auf', gab Annemarie schlagfertig zurück. »Wie wär's
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