Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
denn, wenn die Jugend sich jetzt in den Garten zurückzöge? Oder wollt ihr lieber einen Spaziergang machen?« »Ruth und Edith haben ihren Spaziergang schon hinter sich. Die werden müde sein.« Ursel wäre gern bei der Mutter und den netten Freundinnen geblieben. Es war so spannend, aus Muttis Jugendzeit manches zu hören, was diese selbst ihr doch nicht erzählte. Aber leider zeigte die Mutter dafür gar kein Verständnis.
»Nun, so könnt ihr ja Tischtennis oder Romme spielen. Jetzt wollen wir uns mal ein bißchen ungestört unterhalten«, sagte sie in bestimmtem Tone.
Ursel hätte es wohl fertiggebracht, sich dagegen möglichenfalls taub zu stellen. Aber Ruth und Edith hatten sich bereits taktvoll erhoben. Die drei Jungen waren froh, dem Zwang der Unterhaltung zu entgehen. Bald klang Ballwechsel, Lachen und Hundegebell herauf.
Auch der Professor holte sein geliebtes Schachbrett herbei und vertiefte sich mit dem Schwager in eine interessante Partie. Frau Braun griff zu ihrer Handarbeit. Die drei Freundinnen rückten näher zusammen.
»Daß es dir gut geht, noch besser als früher, das braucht man nicht erst zu fragen, Annemie.« Vera griff liebevoll nach der Hand der Jugendfreundin.
»Besser - nein, Vera. Ebensogut. Mein Familienglück ist 'Gott sei Dank' ungetrübt geblieben, wenn auch hin und wieder mal eine kleine Wolke aufzieht. Die bleibt ja keinem erspart.«
»Ich hatte an die äußerlichen Verhältnisse gedacht. Du hast jetzt alles so schön hier, so vornehm.« Vera schaute sich bewundernd um.
»Ja, schön ist es hier draußen. Dafür bin ich auch jeden Tag aufs neue dankbar. Aber mit drei kleinen Zimmern wäre ich gerade so zufrieden und glücklich. Im Gegenteil, für mein Urselchen ist mir der jetzt etwas wohlhabende Zuschnitt unserer Häuslichkeit gar nicht erwünscht. Die neigt leicht zum Größenwahnsinn.«
»Es ist ein entzückendes Mädchen, der verkörperte Liebreiz. Ich glaube, sie ist beinahe noch hübscher, als du damals warst, Annemarie.«
»Dein Glück, daß du das Wort damals hinzugefügt hast, Vera«, scherzte Annemarie. »Über jetzt schweigt des Sängers Höflichkeit.« Ein impulsiver Klaps Annemaries lohnte diesen Ausspruch der Freundin. Konnte es denn wirklich wahr sein, daß so viele Jahre über die gemeinsame Jugendzeit dahingegangen waren? Dachte und fühlte man denn nicht noch ganz wie einst? Ja - wenn die Stimmen der heranwachsenden Kinder nicht dazwischen geschallt hätten, wenn nicht Silberfunken hier und da in Veras dunklem Scheitel aufgeblitzt wären!
»Deine Alteste ist in München?« nahm Vera, nachdem man sekundenlang still vergangener Tage gedacht hatte, wieder das Gespräch auf.
»Ja, leider. Du wirst es ja auch mal erleben, wie weh es tut, wenn solch ein Küken aus dem Nest fliegt. Vronli hat einen schweren Beruf erwählt - sie wird Säuglingsschwester.« »Das erzählte mir Margot. Nun, die Hauptsache ist, daß der Beruf sie befriedigt.« »Vorläufig scheint dies der Fall zu sein. Aber ob es sich nicht mal rächt, wenn man sich selbst um seine Jugendzeit bestiehlt?«
»Die Annemarie spricht wie ein Professor. Das bringt wohl deine neue Würde so mit sich, Frau Professor? Wo ist deine Leichtlebigkeit, deine erquickende Sorglosigkeit hin, Annemarie?«
»Die gewöhnen einem die Kinder allmählich ab.«
»Nun, deine drei haben dir bisher noch nicht allzuviel Sorgen gemacht«, mischte sich Margot, die bisher schweigend den schönen Maitag und das Beisammensein mit den Freundinnen genoß, jetzt in die Unterhaltung der beiden.
»Dafür kommen sie jetzt haufendick. Ursel, die eine recht niedliche Stimme besitzt, hat es sich in den Kopf gesetzt, zur Bühne zu gehen. Statt dessen hat Rudolf sie in eine Bank gesteckt. Das geht natürlich nicht ohne Kämpfe ab. Und der Hansi, sonst ein lieber Kerl, wenn er auch die Schule etwas zu leicht nimmt, der will auch nicht, wie sein Vater will. Hat keine Neigung zur Medizin, möchte zur Landwirtschaft - ja, die Jungen zwitschern doch nicht immer so, wie die Alten sungen.«
»Freilich tun sie's, Annemie. Ich erinnere mich noch ganz genau deines neunzehnten Geburtstags, als du es bei deinen Eltern endlich durchgesetzt hattest, in Tübingen Medizin studieren zu dürfen«, meinte Margot lächelnd. »Da gab's auch Kämpfe, nicht wahr, Frau Braun?«
»Ja, doch, ja. Aber mein seliger Mann war so gut, der konnte seinem Nesthäkchen nun mal nichts abschlagen.« Frau Braun ließ die schmalen Finger mit der Handarbeit sinken. Aus
Weitere Kostenlose Bücher