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Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Titel: Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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Hilfsbereitschaft des Herrn Rumpier gelang es nicht, alle Dummheiten, die Ursel an diesem Montag verbrach, wieder in Ordnung zu bringen. Daran war aber nicht etwa die Maibowle vom Abend zuvor schuld, nein, die erste Gesangstunde war es, die Ursel schon im voraus mehr in den Kopf stieg, als das bei der Bowle der Fall gewesen war. O Gott, wie sie sich freute! Unglaubliche Mühe wollte sie sich geben, wenn sie Frau Gerstinger ein Lied oder eine Arie vorsingen sollte. Am liebsten eine Opernarie. Die Ännchen-Arie aus dem »Freischütz« lag ihr besonders gut. Da konnte sie all ihre Munterkeit hineinlegen. Oder auch die Susanne aus dem »Figaro«. - Frau Gerstinger brauchte ihre Wünsche nur auszusprechen.
    »Von wem mag ich eigentlich mit meiner musikalischen Begabung belastet sein? Mutti ist unmusikalisch wie Cäsar. Aber Vater hat entschieden eine musikalische Ader. Sein Vater soll sehr schön gesungen haben - also vom Großvater her.«
    Man wußte es ja bereits in der Bank, daß Fräulein Hartenstein trotz ihrer großen Jugend zur Oper Beziehungen hatte. Ursel hatte niemals geradezu widersprochen, weil diese Annahme der Kollegen ihrer Eitelkeit schmeichelte und ihr außerdem diebischen Spaß machte. Als sie Herrn Rumpier, mit dem sie sonst nach Hause zu fahren pflegte, in der Mittagspause davon Mitteilung machte, daß sie heute zur Gerstinger müßte - wohlweislich verschwieg sie, daß es sich um ihre erste Gesangstunde handelte - da verbreitete sich diese Neuigkeit wie Lauffeuer. Na ja - man wußte ja längst Bescheid.
    Frau Gerstinger, ehemalige Primadonna der Berliner Oper, bewohnte eine Dreizimmerwohnung am Kaiserdamm. Erstes - zweites - drittes Stockwerk - ppph - Ursel konnte schon nicht mehr pusten. War es möglich, daß die berühmte Sängerin noch höher wohnte? »Gerstinger« - da stand es endlich an dem kleinen, ziemlich blinden Messingschild hoch oben in der vierten Etage. Ursel mußte ein wenig verschnaufen. Denn sie war eilig gestiegen, weil sie die Zeit nicht erwarten konnte. Wenn sie Ehre einlegen wollte beim Vorsingen, mußte sie vor allen Dingen erst mal wieder zu Atem kommen. Die Klingel gab einen hellen, freundlichen Ton, der gut zu Ursels freudiger Erwartung stimmte. Hohes Hundegebell antwortete. Dann öffnete eine ältere Frau. Sie führte Ursel in ein Zimmer, in dem ein Flügel stand. Auf dem schwarzen Holz lag eine dicke Staubschicht. Doch das sah Ursel nicht. Die hatte nur Augen für die Wand mit all den vertrockneten Lorbeerkränzen und vergilbten Seidenschleifen. Geradezu andächtig schaute das junge Mädchen auf all die Zeichen vergangenen Ruhmes. O mein Gott, was mußte das für ein Gefühl sein, wenn einem solch ein Lorbeerkranz überreicht wurde! Die Tür öffnete sich. Ursel drehte erwartungsvoll den Kopf. Zuerst erschien ein winziger Pinscher, ein weißes, bellendes Wollknäuel, so langhaarig, daß man nicht recht daraus klug wurde, von welcher Seite das Bellen kam, wo es seinen Kopf hatte. Nun endlich erschien Frau Gerstinger in höchsteigener Person. Wie eine Königin betrat sie das Zimmer. In einem lila Samtschlafrock - obwohl es bereits nachmittags war. Über den rotblonden Haarturban, der merkwürdig zu dem verpuderten alten Gesicht stand, war ein weißer Seidenschal geschlungen, der das Theatralische der Erscheinung noch stärker betonte.
    Die unerfahrene Ursel sah weder das gepuderte Gesicht, noch das gefärbte Haar. Sie machte eine tiefe Verbeugung vor der einstigen Bühnenkönigin, und zum ersten Mal in ihrem Leben empfand die kecke Ursel eine Art von herzklopfender Befangenheit. »Ah, die kleine Hartenstein! Seien Sie mir gegrüßt, liebes Kind. Die Frau Mama hat Sie mir ans Herz gelegt. Schau - schau - noch reichlich jung für den Gesang. Ist denn das Stimmchen überhaupt schon entwickelt?«
    »Na und ob!« entfuhr es Ursel in ihrer stürmischen Art. »Wenn ich vielleicht etwas vorsingen dürfte, daß Sie ein Bild von meinem Können gewinnen«, bat sie. »Können? Wenn man noch nichts gelernt hat, kann man nichts. An zu geringem Selbstbewußtsein scheinen Sie nicht zu leiden, Herzchen. Wie alt sind wir denn?« »Siebzehn.« Ursels Figürchen reckte sich.
    »O Gott«, klang es mitleidsvoll. »Siebzehn Jahr - noch reichlich jung zum Singen. Aber immerhin, wir können es ja mal versuchen, mein Herzchen.« Sie schritt königlich zum Flügel.
    »Oho, nun soll sie mal Augen machen«, dachte Ursel. Laut aber sagte sie: »Darf ich vielleicht die Ännchen-Arie aus dem 'Freischütz'

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