Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
werden.«
»Ich will, Hans«, sagte sie, und die reifliche Überlegung schien nicht mehr vonnöten zu sein. »Wenn es sich mit meiner Wohnung und mit meiner beruflichen Arbeit einrichten läßt.«
»Aber natürlich - natürlich«, unterbrach Hans Braun sie so lebhaft wie schon lange nicht. »Die Wohnung wirst du tausendmal los bei der jetzigen Nachfrage. Und deiner kunstgewerblichen Arbeit sollst du dich ungestört widmen. Wir sind ja schon froh und dankbar, wenn wieder ein gebildetes, weibliches Wesen im Hause ist, dort die Oberaufsicht führt und mit Güte auf unser Wohl bedacht ist. Meinen Jungen fehlt eine liebevolle Frauenhand sehr.«
»Eigentlich ist unsere Ursel der Urheber dieses guten Gedankens«, meinte der Professor ebenfalls erfreut, daß in das Haus seines Schwagers nun endlich wieder Ordnung kommen sollte. »Das neue Engagement müssen wir halt begießen, gelt, Annemie? Was meinst, Weible, wenn ich uns eine Maibowle zum Abend braue? Waldmeister hat der Hansi gestern grad' von seinem botanischen Streifzug mit heimgebracht.« »Diese Idee ist beinahe ebensogut, Rudi, wie die von unserer Ursel«, lobte Annemarie.
Während die Herren wieder zu ihrem Schachspiel zurückkehrten und Vera sich nach dem Ergehen der beiden Freundinnen Ilse und Marlene an der Waterkant erkundigte, gab Frau Annemarie so übermütig Auskunft wie einst, als sie noch Schulfreundinnen waren. »An der Waterkant kribbelt's und krabbelt's wie in einem Ameisenhaufen. Weißt du denn überhaupt, Vera, daß bei Klaus und Ilse im vergangenen Jahr der vierte Junge angekommen ist? Sollte natürlich endlich mal ein Mädel werden - ja, prosit Mahlzeit! Jetzt haben sie bald das halbe Dutzend voll, in Lütgenheide. Na, Platz zum Austoben gibt's ja dort genug.«
»Und in Grotgenheide, wie schaut's auf dem Zwillingsgut aus?« erkundigte sich Vera belustigt.
»Gerade entgegengesetzt. Die beiden Freundinnen Ilse und Marlene haben sich ja immer ergänzt. In Grotgenheide bei Marlene und Peter blüht das Dreimäderlhaus. Wenn die Mädel auch halbe Buben sind.«
»Ich muß doch auf dem Rückweg über Kiel fahren und mir das Kleinzeug an der Waterkant einmal anschauen. Von Marlenes Jüngster bin ich ja sogar Pate. Die kleine Vera muß ich unbedingt kennenlernen«, überlegte Frau Vera.
»Ich kenne mein Patchen Margot, die mittelste, auch noch nicht, obwohl es doch von hier gar nicht so weit ist. Man entschließt sich immer zu schwer«, meinte Margot. »Kinder, ich habe eine herrliche Idee: Wir überfallen alle drei die Waterkant zu Pfingsten und feiern dort mal wieder in alter Freundschaft«, rief Annemarie lebhaft. »Vielleicht können wir auch unsere Freundin Marianne ins Schlepptau nehmen. Aber die kriecht schwer aus ihrem Bau heraus, die ist eine richtige Hauskatze geworden.« »Famos, großartig!« pflichteten ihr die Freundinnen bei. »Das heißt, wenn mein neuer Chef mir überhaupt Urlaub gibt«, setzte Margot mit einem schelmischen Blick auf Hans Braun hinzu.
»Werde ich mir noch sehr überlegen«, ging dieser auf den Scherz Margots ein. Der Professor stieg in den Weinkeller hinab, um seine Maibowle zu brauen. Vera ließ sich von Frau Braun in die Geheimnisse ihrer Handarbeit einweihen. Hans Braun und Margot Thielen schritten die Gartenwege auf und nieder, um Näheres über Margots Übersiedlung zu besprechen. Annemarie sah den beiden nach und es kamen ihr merkwürdige Gedanken. Sie hatten sich heute schon öfters gemeldet, diese Gedanken. Hatte Vera nicht recht, daß keine so zum Beglücken eines Mannes geschaffen war wie gerade Margot in ihrer lieben, weiblichen Art? Nur sie wußte es, sie ganz allein, daß Margot Thielen vor Jahren eine geheime Neigung für ihren Bruder Hans gehegt hatte. In ihrer bescheidenen, stillen Art war Margot immer ein wenig Mauerblümchen im Leben gewesen. Sie hatte es am Ende nicht einmal verwunderlich gefunden, daß der Jugendfreund sie kaum beachtete, daß er sich eine andere Lebensgefährtin wählte. Annemarie wußte, daß Margot damals gelitten hatte, wenn sie auch niemals darüber zu sprechen vermochte. Nun waren Jahre vergangen. Viele Jahre. Margot hatte sich nicht entschließen können, einem andern die Hand zu reichen. Das Lebensglück von Hans war gescheitert. Alles blühte und erneuerte sich rings in der Natur - sollte kein neues Glück für die beiden mehr möglich sein?
Die erste Gesangstunde
In der Bank war Ursel am nächsten Tage noch weniger zu gebrauchen als sonst. Selbst der galanten
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