Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
Sonnenstrahlen und Blätterrauschen wob sich ihr das Bild vergangenen Glückes. Als Annemarie die lieben Augen der Mutter sich feuchten sah, unterdrückte sie gewaltsam die eigene Wehmut. »Nun wird es aber endlich Zeit, daß du von dir berichtest, Vera«, sagte sie in munterem Ton. »Daß du dich in der Stadt der reinen Vernunft gut eingelebt hast, habe ich ja zu meiner Freude aus den wenigen Briefen ersehen, zu denen du dich aufgeschwungen hast. Aber nun weiter. Wie lebt ihr? Hast du neue Freunde dort? Ist dein Mann noch immer so verschossen in dich? Wie entwickeln sich deine Krabben?« »Ein bißchen viel Fragen auf einmal. Mit der letzten werde ich beginnen. Die Kinder sind natürlich süß, die Sascha sieht zum Glück meiner Wenigkeit ähnlich, der Bubi ist der ganze Papa.«
»Na, an mangelndem Selbstbewußtsein leidest du gerade nicht«, schaltete Margot neckend ein.
»Es hätte doch auch umgekehrt sein können. Bei all seinen andern Vorzügen, die Schönheit drückt meinen Mann doch wirklich nicht. Aber sonst ist er ein lieber Mensch. Verwöhnt mich, wo er nur kann. Heute noch ist er mir dankbar, daß ich ihn geheiratet habe.«
»Schwer genug hast du dich ja weiß Gott auch dazu entschlossen, - als ob es nach Sibirien ginge und nicht bloß nach Hannover.«
»Ach, Annemarie, rede doch nicht. Die ferne Stadt, das war doch das wenigste dabei. Wenn ich mich natürlich auch von euch allen schwer gelöst habe. Aber ist man erst mal über die dreißig, entschließt man sich nicht mehr so leicht zum Aufgeben seiner Selbständigkeit. Und an meiner Kunst oder meinem Handwerk, wie ihr es nennen wollt, hing ich auch. Was hat mir mein Fotoatelier für eine Freude gemacht.« »Und mir redest du zu, meine Selbständigkeit noch heute aufzugeben. Vera bildet sich nämlich neuerdings zur Heiratsvermittlerin aus«, lachte Margot.
»Du hast mir selbst gesagt, daß du dich nach der Verheiratung deiner jüngsten Schwester einsam fühlst, Margot, daß dir jemand fehlt, für den du sorgen kannst. Da wäre es doch die einfachste Lösung, du heiratest selbst. Habe ich nicht recht, Annemie?« »Vielleicht, aber ich habe noch einen anderen Vorschlag für Margot. Gehe in eine Familie, wo die Mutter fehlt. Erziehe Kinder zu tüchtigen Menschen und gib den Vereinsamten wieder Behaglichkeit und Lebensfreude. Dann wirst du dich selbst nicht mehr vereinsamt fühlen, Margot.«
»Ich habe an Ähnliches schon gedacht. Aber auch da heißt es, seine Selbständigkeit aufgeben und sich fremden, vielleicht nicht mal sympathischen Menschen unterordnen. Wer weiß, in welch ein Haus man kommt. Ob die Kinder nicht verwahrlost sind, ob man mich nicht als besseren Dienstboten behandelt. Man kann dabei große Enttäuschungen erleben. Auch dürfte mich der Haushalt nicht mehr als früher mein eigener in Anspruch nehmen, denn meine kunstgewerblichen Arbeiten würde ich unbedingt weiterentwerfen. Wo findet man das alles beisammen?«
»Es ist bereits gefunden«, sagte Annemarie und machte dabei dasselbe verschmitzte Gesicht, über das sich am Mittag bereits ihre Tochter Ursel den Kopf zerbrochen hatte. »Alles in bester Ordnung - zum Ersten kannst du schon deine Hausdamenstellung antreten, Margot.«
Die blickte mit fragenden Augen auf die Freundin. »Was ist nun wieder für ein Ulk dabei, Annemarie?«
»Gar keiner - ich weiß einen Platz für dich, wo man dich unbedingt als Dame respektieren wird. Wo die Kinder nicht verwahrlost sind und wo du wieder Freude und Wärme in das mutterlose Haus bringen kannst. Errätst du es nicht? Sieh, das Gute liegt so nah.« Annemarie blinzelte zu dem Schachtisch hin.
»Hans?« fragte Margot, und ihr zartes Gesicht färbte sich rosig. Es war wunderbar, wie jung sie in diesem Augenblick aussah.
»Was ist mit mir?« Der in das Schachspiel vertiefte Amtsgerichtsrat wurde aufmerksam. »Ich wollte dir eben eine Hausdame verpflichten, die dich nicht bemausen wird und die du nicht wieder an die Luft zu setzen brauchst. Ich hoffe, du wirst mit Margot einverstanden sein, Hans.«
»Margot - du? Willst du das wirklich tun?«
»Annemarie hat das eben nur angeregt. Sie hat mich mit ihrem Vorschlag vollständig überrumpelt. So etwas will natürlich überlegt sein.« Margot sprach wieder mit der ihr eigenen Ruhe.
Der Amtsgerichtsrat reichte ihr beide Hände hin. »Wenn du dich dazu entschließen könntest, Margot, dann tätest du ein gutes Werk. Dann würden mir mein Heim und mein Leben vielleicht noch einmal heller
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