Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Titel: Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
Vom Netzwerk:
Rudi.« Frau Annemarie blickte ihrem Nesthäkchen, dessen zorngerötetes Gesicht sie noch aus der Kinderzeit her genau kannte, sinnend nach.
    »Desto besser, Weible. Dann war es das klügste, was wir tun konnten, ihr die Gesangstunde zu gestatten. Abschreckungstheorie nennt man das.« Er lachte. Frau Annemarie lachte nicht. Ihr tat ihr Nesthäkchen leid, das mit so hochgespannten Erwartungen zur ersten Stunde gegangen war. Ursel erschien erst, als der Spargel bereits auf dem Tisch stand.
    »Meinen untertänigsten Gruß, hochedle Primadonna.« Hans machte ihr eine tiefe Verbeugung.
    Da hatte er bereits einen Katzenkopf weg.
    »Alter Grobian!« Er rieb sich seinen blonden Schädel.
    »Darf ich mich ganz ergebenst danach erkundigen, in welcher Rolle die Gnädigste heute aufgetreten sind?« Die Schwester weiterzufoppen, das konnte er doch nicht lassen. Ursel, die sonst heiter auf seine Späße einzugehen pflegte, schien heute schlechter Laune. »Wenn du mich nicht in Ruhe läßt, du dummer Bengel, geh' ich auf mein Zimmer.« »Puh - fürchterliche Drohung! Dann kriege ich mehr Spargel«, meinte Hans mit hungrigen Augen.
    »Also jetzt gebt Ruh', Kinderle, und verderbt uns die gute Mahlzeit nicht«, machte der Vater der Katzbalgerei ein Ende.
    Obwohl Ursel die erste große Enttäuschung niederzukämpfen hatte, ihre Neugier auf Großmamas neue Pensionäre ließ ihr keine Ruhe. Hans war bereits dort gewesen, stattete aber nur ungenügenden Bericht ab.
    »Sie haben alle beide die Nase mitten im Gesicht, wenn sie auch aus Brasilien sind«, äußerte er sich auf Ursels Fragen.
    »Na und weiter? Wie sehen sie denn aus?«
    »Bißchen duster - aber Neger sind es keineswegs. Sie sind portugiesischer Abstammung. Ihr Ururgroßvater hat das Land mit erobern helfen und die europäische Kolonie dort gegründet.«
    »Ach, was geht mich denn ihr Ururgroßvater an! Ich möchte wissen, ob sie hübsch und nett sind, ob sie Deutsch verstehen und -«
    »Geh doch selber hin und guck sie dir an«, war die brüderliche Antwort.
    »Tue ich auch. Gleich morgen. Dir muß man ja doch bloß die Würmer aus der Nase ziehen.«
    »Viel Vergnügen dazu!« Hans ließ es zweifelhaft, ob das Vergnügen auf den beabsichtigten Besuch oder auf seine Nase Bezug haben sollte.
    Merkwürdig still wurde es darauf bei Tisch. Das kam daher, daß Ursel in ihrer Lebhaftigkeit sonst meist die Kosten der Unterhaltung bestritt. Heute aß sie ziemlich einsilbig ihren Spargel und antwortete nur auf direkte Anrede. Gleich nach Tisch wollte sie auf ihr Zimmer entschlüpfen, Kopfschmerzen vorschützend.
    »Ach was, als ich jung war, kannte ich Kopfschmerzen nimmer«, lachte der Vater sie aus.
    »Geh lieber noch ein bissel 'naus in die Luft, das ist halt gescheiter.«
    »Ja, komm, Urselchen, ich habe heute den ganzen Tag noch nichts von dir gehabt.«
    Liebevoll ergriff die Mutter Ursels Arm. Da gab's keine Gegenrede.
    Stumm schritten Mutter und Tochter im Garten auf und nieder, Arm in Arm. Betäubend
    duftete der Flieder und Holunder. Frau Annemarie schwieg. Sie wartete. Aber Ursel fand
    den Weg noch nicht.
    »Also, mein Herzchen, wo ist dir denn die Petersilie verhagelt?« kam ihr die Mutter entgegen.
    »Wieso?« versuchte Ursel möglichst unbefangen eine Gegenrede.
    »Nun, das sieht doch ein Blinder ohne Laterne, daß heute nicht alles so gewesen ist, wie du es dir vorgestellt hast.«
    Wieder eine lange Pause. Man hörte die Grillen im Grase zirpen. Ursel kämpfte mit ihrem Stolz. Und dann legte sie mit einem Male los. Wie ein Sturzbach ergoß es sich von ihren Lippen.
    »Ein Stimmchen soll ich haben, ein ganz nettes. Und unmusikalisch wär' ich auch nicht - solche Unverschämtheit! Denkt wohl, sie habe allein die Musik für sich gepachtet, die Gerstinger. Arien hat sie mich überhaupt nicht singen lassen. Ausgelacht hat sie mich, daß ich zur Oper will. Und wenn ich mich nicht schämte, ich ginge überhaupt nicht wieder hin zu dieser ollen Karline aus der Rumpelkammer.«
    »Ruhig, Kind, ruhig, Ursel! Hast du wirklich im Ernst gedacht, Frau Gerstinger würde in Begeisterung über deine Stimme geraten? Sie ist die Lehrerin und hat gewiß schon ganz andere Stimmen ausgebildet als deine. Für sie sind alle unentwickelten, noch nicht geschulten Stimmen 'Stimmchen'. Mein Fräulein Tochter ist eben allzusehr von sich eingenommen und verträgt eine ehrliche Kritik nicht. Gewöhne dir das beizeiten ab, Herzchen, sonst können die Enttäuschungen nicht ausbleiben. Besser, du nimmst

Weitere Kostenlose Bücher